Spinnefeind
Bürgerrechtler bin ich auf einiges gestoßen, das niemandem gefallen kann. Straffe totalitäre Strukturen in Bayern.«
»Wir sind ja in Franken«, sagte Katinka. Sie hatte es als Scherz gemeint, aber Niedorf ging hoch wie eine Rakete.
»Unsinn. Lassen Sie sich nicht einlullen von all dem Heimatfilmgetue. ›Freiheit für Franken‹ und das. Ist doch albern. Es geht um die Machenschaften, die sich an höchster Stelle tun.« Er nahm ein Foto aus der Gesäßtasche seiner Jeans. »Hier. Hannes.«
Katinka betrachtete den jungen Mann auf dem Foto. Ein offenes Gesicht. Der Anflug eines Lächelns. Ein Leben, das noch keine bitteren Erfahrungen gemacht hatte. Am auffallendsten waren die leuchtend grünen Augen. Sie sahen aus wie retuschiert. Hannes hatte sie von seinem Vater.
»Was wis sen Sie über einen Mann namens Eugen Kaminsky?«, fragte sie.
Charly Niedorf schüttete Rotwein über sein Batikhemd. Er bemerkte es nicht einmal.
»Ich war eine Zeitlang für den Weißen Ring aktiv. Da kannte ich eine Menge Leute, auch eine Beraterin, die das Mädchen aus Kulmbach betreute, das Kaminsky in die Finger fiel. Es ist eine Schande, dass Kaminsky wegen Beweismangel aus der Sache rauskam. Nicht einmal ein blaues Auge hat er sich geholt. Finden Sie Hannes! Sie können mich jederzeit anrufen. Ein Handy habe ich nicht, aber ich bleibe zu Hause. Kein Thema.«
Er legte Geld auf den Tisch und ging. Katinka bemerkte erst beim zweiten Hinsehen, dass er auch eine Packung Papiertaschentücher liegen gelassen hatte. Sie griff danach. 200 Euro steckten hinter der Folie.
Katinka überlegte gerade, ob sie noch etwas zu trinken bestellen sollte, als der ersehnte Anruf kam.
»Tut mir leid, dass es schon so spät ist«, fing Hardo an.
»Macht nichts. Treffen wir uns noch?«
»Kommst du vorbei?« Seine Stimme klang müde.
»Ich bin gleich da.«
Sie zahlte und schwang sich aufs Rad. Keine zehn Minuten später klingelte sie an seiner Tür. Sofort ging der Summer.
»Ich habe bei Mahrs eben noch ein Bier geholt«, sagte Hardo zur Begrüßung und zeigte auf den Biersiphon. Katinka liebte den Brauch, mit einem eigenen Gefäß in die Brauerei zu gehen und Bier abfüllen zu lassen.
»Klasse«, sagte sie nur.
Sie standen sich gegenüber, bis Hardo die Spannung löste, indem er Katinka kurz in die Arme nahm und ihr Haar küsste.
»Wie lief es heute bei dir?«, fragte er, als sie einander in der Küche gegenübersaßen, jeder mit einem Glas Bier in der Faust.
»Ein komischer Tag. Lauter seltsame Leute«, sagte Katinka ausweichend. Sie musste entscheiden, was sie mit Hardo teilen wollte und was nicht.
»Bei mir auch.«
Sie musterten sich abwartend.
»Na, wer legt die Karten zuerst auf den Tisch?«, fragte Katinka.
Hardo lachte nicht.
»Du hast mit Anja Spachtholz gesprochen.«
Das ging aber schnell, dachte Katinka.
»Ja. Du auch?«
»Ein Kollege aus der Ermittlungsgruppe. Anja hat deutlich gemacht, dass du ihr auf die Zehen getreten bist.«
»Das stimmt nicht. Ich habe mit ihr über die Kryptoanalyse-AG gesprochen.«
Hardo wartete ab.
»Anja ist Hannes Niedorfs Freundin«, rückte Katinka ihre Schätze heraus. »Sie, Hannes und Valentin Kazulé sind ein Trio, eng befreundet, wissen übereinander Bescheid. Hannes’ Verschwinden war geplant, sie hatten zu dritt die Finger drin.«
Hardo zog die Augenbrauen hoch.
»Davon habe ich nichts gehört.«
Katinka schwieg und drehte ihr Bierglas. Das Kondenswasser hinterließ nasse Kreise auf der Tischplatte. Also war doch etwas dran an der Frau-zu-Frau-These. Hätte Hardo eine Kollegin hingeschickt … Sie dachte ihre Gedanken nicht zu Ende, sondern sagte:
»Hannes hat etwas entdeckt, das er und sein Vater für so gefährlich hielten, dass der Junge abtauchte. Ein Freund hat ihnen geholfen.«
Das musste reichen. Katinka wartete auf Hardos Beute.
»Ich hatte ein eindringliches Gespräch mit der Rechtsverdreherin«, sagte er schließlich.
»Mit Ljubov?«
»Genau. Sie hat mir eine abenteuerliche Geschichte erzählt von sexuellem Missbrauch, Rechtsbeugung und einem Geheimbund.«
»Die Story habe ich auch zu hören bekommen«, bestätigte Katinka. »Glaubst du an den Ritterklub?«
Hardo sah sie ein paar Sekunden mit seinen gletschergrauen Augen an. Schatten der Erschöpfung saßen wie Raubvögel in den Winkeln. Dann stand er auf, trat ans Fenster und sah hinaus. Der Kirchturm war beleuchtet. Ein warmes, verlässliches Rot im Dunkel der Nacht.
»Ich habe heute Bekanntschaft mit einem
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