Spinnefeind
Wachen, in den Hass, der seit so vielen Jahren brodelt und schmerzt.
Vor einer Weile hat sie begonnen, den Hass als Antrieb zu nutzen. Wie eine Brennstoffzelle, die ihr Energie für all ihre Pläne liefert und auch dafür, den Tag zu bestehen. Sie ist sehr vorsichtig, niemand ahnt etwas. Gut, dass sie so viel schuftet, da fällt ihre zeitweilige Abwesenheit gar nicht auf. Sie spielt mit der Rolloschnur. Die Straße liegt still vor ihr, es ist noch früh. Vögel wetteifern um die Gunst des Morgens, hier draußen ist alles grün, so intensiv grün im Morgenlicht, dass sie die Lider zusammenkneift. Die erste Zigarette tut ihr gut. Sie beugt sich weit aus dem geöffneten Fenster und spürt dem Nikotin nach, das ihren Kopf zu Glas werden lässt. Hellhörig, hellsichtig, wenigstens manchmal, vorsichtig, behutsam, zielstrebig, durchsetzungsstark.
In der Zeitung stand ein ganz kurzer Hinweis, dem ist sie nachgegangen. Und hat Sekunden später verstanden, dass der Moment gekommen ist. Der Moment, um Rache zu nehmen.
Sie stellt sich vor, wie die Milliarden Nervenzellen in ihrem vom Morgenlicht durchleuchteten Gehirn feuern, die Erregung weiterleiten, in die schmalen Falten tief unten in der archaischen Schaltzentrale, wo die Emotionen verwaltet werden. Dort gibt es eine Instanz, die entscheidet: Flucht oder Angriff.
Lang genug hat sie sich geflüchtet. In die Arbeit, in die langen Nächte im Restaurant, in aufgeplusterte Beziehungen, in die Literatur. Nun hat sie den Schalter umgelegt. Sie wird diesen Mann vernichten, und niemand wird auf die Idee kommen, dass sie der Motor von allem ist. Denn der Skandal wird andernorts ausbrechen. Nicht hier.
Sie drückt die Kippe auf dem Fensterbrett aus und bläst den letzten Rauch in das gleißende Licht.
Was für ein wunderbarer Morgen.
10. Hannes’ Flucht
Katinka trat aufs Gas, als sie kurz hinter Erlangen Richtung München abbog.
Nach nur wenigen Stunden Schlaf war sie aufgeputscht vom Adrenalin in ihrem Körper. Und von Hardos zärtlichem Abschiedskuss, in den er all seine Sorgen gelegt hatte. Kein ganz schlechtes Gefühl, wenn jemand sich Sorgen um einen macht, dachte Katinka. Noch vor acht war sie am Kreuz Neufahrn, und eine gute halbe Stunde später rollte sie durch Fürstenfeldbruck. Es wurde heiß. Als sie in der Kurt-Schumacher-Straße ausstieg, nahm sie die Sonnenbrille ab. Gegenüber lag ein Feld voller Sonnenblumen mit Blick auf ein Dorf, einen guten Kilometer weg, und auf ein Kirchlein mit Zwiebelturm. Idyllisch, dachte Katinka, wenn man sich die Schnellstraße wegdenkt. Die Wohnblocks, die Charly Niedorf ihr beschrieben hatte, brummten bereits vor Leben. Sie klingelte bei Nummer 78.
Es schepperte in der Gegensprechanlage.
»Ja?«
»Katinka Palfy. Sind Sie Emil Fürlitzer?«
»Sie wollen einen Kaffee, stimmt’s?«
Der Summer ging, und Katinka kletterte in den zweiten Stock. Ein Kaffee war tatsächlich genau das, was sie jetzt brauchte. Ein starker sollte es sein, mit viel heißer Milch.
An der Wohnungstür erwartete sie ein Mann, der ein Bäuchlein vor sich hertrug, das dem siebten Monat einer Schwangerschaft angemessen war. Seine Schultern fielen nach vorn. Er sah auf ungewöhnliche Art kraftlos aus. Das Haar hing ihm wirr in die Stirn. Er kultivierte einen Pony und langes Nackenhaar, obwohl oben auf seinem Kopf bereits ein blanker Kreisel prangte.
»Morgen«, sagte er. Er trug Jogginghosen und ein weißes T-Shirt mit einem Mandala-Aufdruck. »Kommen Sie rein.«
Er führte sie durchs Wohnzimmer.
»Hier, setzen Sie sich auf den Balkon. Kaffee habe ich schon gekocht.«
Er wies auf die geöffnete Balkontür. Katinka trat hinaus. Wenige Meter weiter lag der nächste Wohnblock, aber immerhin wucherte ein wenig Grün davor. Fürlitzer züchtete allerhand Gemüse auf seinem Balkon. Neugierig hob Katinka die Thermoskanne an. Voll bis zum Anschlag. Sogar der Tisch war gedeckt. Frische Brötchen, hausgemachte Marmelade, Honig, Butter aus einer jener altertümlichen Formen, die einen geriffelten Rand und ein Motiv in der Mitte hinterließen. In diesem Fall ein Täubchen mit einem Zweig im Schnabel.
»Ich habe noch die Milch heiß gemacht«, sagte Fürlitzer und stellte eine Kanne auf den Tisch. »Nehmen Sie Platz.«
Katinka schloss für einen Moment die Augen.
»Genießertyp?«, fragte Fürlitzer. »Charly hat mir durchgegeben, was Ihre Vorlieben sind. Entweder ein bodenständiger Mokka. Oder heißer Milchkaffee. Gleichzeitig kann ich auf diese Weise sicher
Weitere Kostenlose Bücher