Spinnefeind
sprechen.«
»Ich sitze in der ›Fischerei‹. Kommen Sie vorbei, ist ja nicht weit von Ihnen.«
»Das mache ich glatt.«
Zehn Minuten später saß er ihr gegenüber. In seinem Batikhemd wirkte er wie ein altbackener Hippie. Mit gesenkter Stimme legte er los.
»Es ist dringend.« Misstrauisch sah er ihre Tischgenossen an.
»Das ist die ideale Situation, um nicht belauscht zu werden«, sagte Katinka. »Keiner rechnet damit, dass hier Geheimnisse ausgekocht werden.«
»Ich wollte Sie bitten, nach Hannes zu suchen.«
Katinka starrte ihn an.
»Ja, ich weiß, es kommt Ihnen alles eigenartig vor. Aber hören Sie mir erst zu.« Er bestellte ein Glas Rotwein. »Mein Sohn und ich sind gute Freunde. Wir vertrauen einander. Ich konnte sein Vertrauen nicht enttäuschen.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich habe mir den ganzen Nachmittag Gedanken gemacht, ob ich Sie anrufe, und mir alles zurechtgelegt. Jetzt bin ich nervös. Ich brauche erst mal ein paar Schlucke Wein.«
»Lassen Sie sich Zeit«, sagte Katinka und beäugte ihr Handy.
»Ich musste Hannes versprechen, niemandem etwas zu sagen. Wir hatten beide Angst. Aber jetzt … ist der Kontakt seit Tagen abgerissen. Ich …« Wieder sah er argwöhnisch in die Runde.
»Sie wissen also, wo Hannes sich aufhält?«
»Natürlich.« Er senkte die Stimme. »In der Nähe von München.«
»Wie haben Sie Kontakt gehalten?«
»Über Postkarten. Er schrieb mir jede Woche zwei. Eine kam am Dienstag, die andere am Freitag. Aber am letzten Freitag kam nichts. Gestern nicht. Heute auch nicht.«
»Sie selbst erreichen ihn nicht?«
»Ich habe einen Freund, der in der gleichen Stadt lebt und Hannes versteckt.«
»Klartext?« Katinka wurde ungeduldig.
»Ich halte keinen Kontakt über sein Handy, weil man das zurückverfolgen kann. Auch mein Freund nimmt keinen Kontakt mit Hannes auf, aber er steht im Hintergrund, für den Notfall.«
»Kommen Sie, Herr Niedorf«, sagte Katinka genervt. »Was ist los?«
»Falk ist«, Niedorf fuhr sich mit der Handkante über die Kehle, »tot.«
Endlich brachte der Kellner seinen Wein. Niedorf trank das halbe Glas aus und schien sich zu fangen.
»Wovor, zum Teufel noch mal, haben Sie solche Angst?«
»Bei mir schräg gegenüber«, murmelte Charly Niedorf so leise, dass Katinka ihn kaum hörte, »hing tagelang ein Typ am Fenster rum. Wenn ich mich recht erinnere, seit dem Tag nach dem Schulfest.«
»Was für ein Typ?«
»Ein Kerl mit einer Brille. Vielleicht Ende 30, nicht älter. Guckte immer zu mir rüber. Er hatte eine Kamera.«
Katinka kramte nach der Sauriertüte. Ein einziges gelbes Tyrannosaurus klebte am Boden fest. Sie pulte es heraus.
»Haben Sie den Mann angesprochen?«
»Ich habe irgendwann stundenlang zurückgestarrt. Da blieb er weg.«
»Wann war das?«
»Keine Ahnung. Vor einer Woche, zwei Wochen, was weiß ich.«
»Sonst ist Ihnen nichts aufgefallen?«
»Es kamen Anrufe, gleich nach dem Fest. Auf unserem Festnetzanschluss und auf Hannes’ Handy. Jedes Mal ging Hannes dran. Ich habe gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Hannes behauptete, es wäre besser, ich wüsste nichts. Dass er da einer Sache auf der Spur ist, die er nicht durchschaut. Die gefährlich werden kann. Dabei ist ihm der Name Kazulé rausgerutscht. Er meinte den Vater seines besten Freundes. Den Richter Kazulé, diese Schweinebacke.«
Niedorf drehte sein Glas und schüttelte den Kopf. Katinka stöhnte leise. Wenn ein Professioneller, ein Kollege sozusagen, auf Charly aufgepasst hatte, dann war Charly weiterhin im Fadenkreuz, auch wenn er nichts davon mitbekam. Von ihr selbst einmal ganz abgesehen, denn sie war am Montag bei Charly Niedorf gewesen.
»Suchen Sie Hannes, Frau Palfy. Egal, was es kostet. Finden Sie heraus, wo er steckt.«
»Wie heißt Ihr Freund?«
»Emil Fürlitzer. Er wohnt in Fürstenfeldbruck bei München.«
Katinka notierte die Adresse.
»Wohnt Hannes bei ihm?«
»Nein, Emil hat eine andere Wohnmöglichkeit aufgetan.«
»Wer bezahlt die Wohnung?«
»Emil.«
»Haben Sie jemals den Gedanken zugelassen, dass Sie zur Polizei gehen könnten?«
Charly Niedorf beugte sich über den Tisch und sah Katinka fest in die Augen. Sie konnte nicht anders, sie fand ihn aufrichtig.
»Kazulé ist zu allem fähig. Wer ein wenig recherchiert, bekommt Antworten auf Fragen, die er nie zu stellen gewagt hätte. Sie können mich für paranoid halten oder für einen Verschwörungstheoretiker, aber in meiner Arbeit als
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