Spinnefeind
sein, dass Sie wirklich Katinka Palfy sind. Nehmen Sie sich ein Brötchen. Die Butter hole ich beim Bauern, die Brombeermarmelade habe ich selbst eingekocht, und den Honig bekomme ich von einem Freund. Einem Hobbyimker. Bewährte Lebensmittel also.«
Katinka langte zu.
»Wie lange kennen Sie und Charly sich?«, fragte sie, während sie Marmelade auf ihrem Brötchen verstrich.
»Ewig. Wir waren Jugendfreunde, haben Seite an Seite als sogenannte Kriegsdienstverweigerer durchgehalten und die Schreinerlehre gemacht. Charly ging dann mehr in Richtung Denkmalpflege.«
»Und Sie?«
Er lächelte.
»Ich unterrichte Tai Chi und Kung Fu.«
Sieht man aber nicht, dachte Katinka. Sie hatte immer angenommen, Kung Fu bringe geschmeidige Kämpfer hervor, angriffslustige Tiger, die vor Kraft strotzten.
»Man täuscht sich leicht«, erklärte Fürlitzer. »Sie können jahrelang neben einem Meister leben, ohne etwas von seinem Können zu bemerken. Wir sind keine Muskelprotze. Es geht um geistige Kraft.«
»Bringen Sie mich zu Hannes?«
»Charly hat mich drum gebeten.«
Die Wohnung, in der Hannes Niedorf untergekrochen war, lag im Zentrum des schmucken Städtchens, nah an der Amper. Es hatte mittlerweile fast 30 Grad, und Katinka schwitzte selbst in ihrer dünnen Hose und dem
T-Shirt. Sie stiegen in den vierten Stock. Hier oben ballte sich abgestandene, kochend heiße Luft. Fürlitzer stand dicht neben Katinka, als sie auf die Klingel drückte. Nichts tat sich. Katinka läutete noch mal.
»Es ist ein Ein-Zimmer-Apartment«, sagte Fürlitzer. »Knappe 30 Quadratmeter, inklusive Küchenzeile und Bad. Na ja, die Schöngeisinger Straße ist ein bisschen laut.«
»Wir gehen rein«, bestimmte Katinka. »Er wohnt doch allein hier?«
»Sicher.«
Die Anwesenheit eines Kung-Fu-Meisters beruhigte Katinka und machte sie gleichzeitig nervös. Er reichte ihr den Schlüssel. Das Schloss gab ein sattes KLACK von sich. Fürlitzer hob die Augenbrauen, als Katinka ihre Beretta zog und ihn mit einem Blick anwies, hinter ihr zu gehen.
Das Apartment war leer. Und völlig verwüstet. Das Schlafsofa war umgerissen, der Lattenrosteinsatz lag zersplittert daneben. Decken und Kissen waren im Zimmer zerstreut, aus Schreibtisch und Schrank sämtliche Schubläden herausgerissen. Sogar die Herdklappe stand offen, Geschirr lag herum, Scherben, Essensreste.
»Pfui Teufel«, murmelte Fürlitzer.
Katinka stieß die Badtür auf. Der Duschvorhang lag in der Badewanne, schwamm in einer trüben Brühe, die vor Tagen noch ein beruhigendes Latschenkieferaroma abgegeben hatte. Auf dem Bord über dem Waschbecken stand ein Bierglas. Darin steckte eine Zahnbürste.
Katinka verfrachtete die Pistole ins Holster.
»Nichts anfassen«, sagte sie, »höchstens hiermit.«
Sie kramte Latexhandschuhe aus dem Rucksack und reichte Fürlitzer zwei. Vorsichtig umschiffte sie die herumliegenden Sachen und schloss leise die Wohnungstür.
»Dieses Apartment erzählt uns seine Geschichte«, sagte sie. »Schauen Sie sich alles genau an. Jedes Detail.«
Fürlitzer ging in die Hocke. Irritiert sah Katinka ihm zu, wie er den Raum absuchte, systematisch, von links nach rechts, oben nach unten. Sie selbst besah sich zunächst sporadisch, was ihr in den Blick geriet, und suchte erst später nach Mustern.
»Wissen Sie, was für Gepäck Hannes dabeihatte?«, fragte sie.
»Nicht viel. Einen Tramperrucksack mit Kleidung, ein paar Bücher. Einen Laptop, Handy, DVDs, Musik-CDs. Die Sachen brachte ein Kumpel von Charly vorbei, einen Tag, nachdem Hannes hier eingezogen war.«
»Sehen Sie den Rucksack? Den Laptop?«
Fürlitzer tappte durch das Apartment. Er bewegte sich wie ein Löwe, der träge in der Sonne gelegen hatte und nun die Wasserstelle anpeilte. Katinka ahnte etwas von der Kraft, die er für seine Kampfkunst brauchte.
»Nein.« Er deutete mit seinen behandschuhten Händen auf zwei Plastikhüllen am Boden. »DVDs. ›Forrest Gump‹ und ›Elsa und Fred‹. Die habe ich ihm geliehen.«
Katinka kniete sich hin und öffnete die Hüllen.
»Leer.«
Sie sahen einander an.
»Sieht böse aus«, sagte Fürlitzer.
Katinkas Gedanken rasten. Polizei anrufen. Erkennungsdienst. Spuren aufnehmen. Hannes’ Zahnbürste war hier. DNA. Warten. Verantwortung abgeben.
»Zuerst rufen wir Charly an«, bestimmte sie. »Er hat mir den Auftrag gegeben, Hannes zu finden. Er muss informiert werden.«
Fürlitzer sagte nichts. Er sah Katinka unverwandt an, während sie Niedorfs Nummer wählte
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