Spinnefeind
fragte Charly Niedorf verzweifelt.
»Er kann nicht. Er traut sich nicht«, schlug Valente vor.
Anja bekam ganz große Augen.
»Wie meinst du das – er kann nicht?«
»Er will sein Handy nicht benutzen«, erinnerte Valente. »Und vielleicht ist er nicht in einer Stadt. Vielleicht nicht einmal in einem Dorf. Im Wald oder so.«
»Im Wald?« Katinka lachte auf. »Das ist kein Abenteuerfilm.«
»Sie kapieren echt nichts«, schnaubte Valente. »Es hat nicht geklappt, die Versteckerei in einem Apartment. Also musste er einen ganz anderen Weg wählen.«
»Hat er ein Zelt mit?«, fragte Katinka Charly Niedorf.
Niedorf verneinte. Katinka stützte ihren Kopf in die Hände. Sie kam nicht weiter. Hardo hatte gesagt, dass in Falks Wohnung Koks gefunden worden war. Vermutlich war der Drogenverdacht doch keine Manipulation.
»Wir treffen uns morgen noch einmal«, sagte sie. »Ich muss eine Informantin anrufen.«
Ljubov meldete sich erst nach dem fünften Klingeln. Unruhig spielte Katinka auf ihrem Knie Klavier.
»Müller?«
»Hier ist Katinka. Können wir uns treffen?«
»Jederzeit. Ich bin zu Hause.«
»Wo wohnst du eigentlich?«
»In der Marienstraße. Über der Apotheke.«
Katinka sperrte ihre Tür zu und sah unsicher die Hasengasse hinauf und hinunter. Leer. Verwaist, wie immer in der Nacht. Es war kurz nach elf. Sie fror vor Müdigkeit, obwohl die Wände noch die Wärme des Tages abstrahlten. Wenigstens wohnte Ljubov nicht weit von Katinkas Wohnung. Sie würde es nicht weit nach Hause haben.
»Himmel, was ist los? Geht’s dir nicht gut?« Ljubov ließ sie herein. »Du bist bleich wie Milch. Willst du was trinken? Tee?«
»Bei dir gibt’s nichts anderes, oder?«
»Doch. Wein, Sekt, Wodka. Was darf’s sein?«
Katinka winkte ab.
»Ein Glas Wasser. Es gibt was Neues im Fall um Hannes Niedorf.«
Ljubov zog die Augenbrauen hoch und ging in die Küche. Mit einer Flasche Wein und einer Karaffe Wasser kam sie zurück und schob Katinka vor sich her ins Wohnzimmer. Auch hier der obligatorische Samowar. Fotos mit Motiven russischer Dörfer. Bemalte Holzhäuser, Banjas, die verträumten Kuppeln orthodoxer Kirchen.
»Hast du die Fotos gemacht?«
»Ja. Ich habe in Russland Geografie studiert. Man hat mich nach einigem Hin und Her zugelassen. Es war toll, obwohl ich zu dem Studium keinen tieferen Bezug hatte. Aber ich konnte reisen, durch die ganze Sowjetunion. Das war herrlich.«
»Weshalb ich hier bin«, erinnerte sich Katinka. »Ich hatte einen schrecklichen Tag.« In wenigen Sätzen schilderte sie, was ihr passiert war. Sie hatte beschlossen, ehrlich zu Ljubov zu sein. Ihr Bauchgefühl fand es in Ordnung, wenn sie der Anwältin vertraute. Könnte sein, dass ich schon zu angeschlagen für Misstrauen bin, überlegte Katinka, aber was soll’s. Sie legte Ljubov den Zettel mit dem Geheimtext vor.
»Warte, ich brauche meine Brille. ESSSINDODROJGENDIMSEPIEÜL«, murmelte Ljubov, während sie das Brillengestell auf ihrer Nase festhielt. Es hatte nur einen Bügel. Sie zog die Stirn kraus und hielt den Zettel ein Stück von sich weg. »Aha. Warte mal. Hm.« Sie leckte sich die Lippen. Katinka fiel auf, dass sie frisch geschminkt waren. Ljubov holte zwei Weingläser und schenkte sich Wein, Katinka aber Wasser ein. Lange war es still im Raum. Von draußen hörte Katinka den spärlichen Straßenverkehr.
»Es ist doch so«, sagte die Anwältin nach einer langen Weile. Sie nippte an ihrem Wein. »Drogen sind im Spiel. Stell dir vor, das wäre ein Vers aus einem Gedicht. Wir würden es interpretieren. Es bedeutet in einer anderen Lesart: Geld ist im Spiel. Viel Geld. Die eine Seite der Droge besteht aus Euphorie und Sucht, dem ganzen Elend und den Zerwürfnissen. Die andere Seite bedeutet Geld. Jemand verdient. Die Gewinnspanne bei Drogen ist gigantisch und lohnt das Risiko.«
»Ich hatte zwei ekelhafte Anrufe, während ich unterwegs war. Jemand weiß, dass ich auf seiner Spur bin.«
Ljubov schürzte die Lippen und musterte Katinka, ehe sie fragte:
»Wer von den Kerlen, die durch unseren Fall geistern, könnte an Drogen verdienen?«
Das war eine gescheite Frage, fand Katinka. Je öfter sie die Geschichte von den Kreuzrittern hin und her wälzte, desto unwahrscheinlicher schien es ihr, dass der Anwärter auf ein Ministeramt ein Killerkommando anheuerte.
»Macht allein ist kein ausreichendes Motiv für so einen Mord wie den an Falk«, sagte sie und trank ihr Wasser in einem Zug aus. »Ich fühle mich hilflos,
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