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Spinnefeind

Spinnefeind

Titel: Spinnefeind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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Sie robbte über die Kante und kniete auf dem Dach. »Schwindelfrei muss man schon sein«, murmelte sie, als sie sich aufrichtete und entschlossen über die Ziegel lief. Gute zehn Meter weiter sah sie die nächste Dachluke. Auch diese stand halb offen. Bei der Hitze kein Wunder. Katinka hatte keinen Blick für die hübsche kleine Stadt unter sich, das schmale, in der Sonne glitzernde Band der Amper, und auch nicht für das Kloster Fürstenfeld in seinem dunkelgrünen Waldbett. Rasch schlüpfte sie durch das Fenster und landete auf einem Dachboden, der mit dem, den sie gerade verlassen hatte, vollkommen identisch war. Also kann Hannes diesen Weg genommen haben, dachte sie, während sie durch das Treppenhaus lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.
    Sie ging zu ihrem Auto, wühlte ein wenig in ihren Beständen herum und fand schließlich, was sie suchte. Einen alten Otto-Katalog, den sie längst hatte ins Altpapier werfen wollen. Sie stopfte ihn in einen halb zerfetzten Umschlag, klemmte ihn unter den Arm und ging zu Hannes’ Haus. Die Dame im Erdgeschoss, die sie als Erste herausklingelte, zuckte nur die Schultern.
    »Der junge Mann von ganz oben? Der ist sehr zurückhaltend. Worum geht’s denn?«
    »Ich habe da ein paar Dokumente abzuliefern.«
    »Ach, dann lassen Sie die mal bei mir, ich kann sie bei Gelegenheit hochtragen. Ich bin den ganzen Tag zu Hause. Rentnerin.« Sie lächelte.
    »Das ist nett, danke«, sagte Katinka und lächelte doppelt so herzlich. »Aber das muss ich persönlich übergeben, sonst kriege ich Ärger. Sie haben den Herrn heute nicht gesehen?«
    Die Dame schüttelte den Kopf.
    »Mein Küchenfenster geht direkt zur Straße. Ich verpasse kaum etwas. Aber den jungen Mann sieht man ohnehin selten.«
    »Schade. Aber danke für Ihre Hilfe.«
    Katinka nickte ihr zu und trat ins Treppenhaus. Sie klapperte das ganze Haus ab, aber ohne Erfolg. Entweder traf sie niemanden an, oder die Leute, die zu Hause waren, hatten Hannes nicht gesehen. An diesem Tag sowieso nicht, und ohnehin selten, da er unauffällig blieb.
    Katinka setzte sich ins Auto und lehnte sich erschöpft zurück. Ihr war sehr heiß. In der Erdgeschosswohnung bewegten sich die Gardinen. Katinka startete den Motor und fuhr los. Auf der Autobahn brach ihr trotz Klimaanlage der Schweiß aus. Der Verkehr war dicht. Die Pendler, die aus München wegfuhren, versprühten die Hektik eines heißen Arbeitstages. Katinka schaffte eine halbe Stunde am Steuer, dann musste sie Pause machen. Auf dem Parkplatz standen zwei Lkws. Katinka stieg aus und streckte sich. Das funktionierte ganz gut. Ohne Schmerzen. Ihr Handy ging.
    »Palfy?«
    Sie erwartete, dass es Hardo wäre, der sich erkundigen wollte, wie es ihr ging.
    »Habe ich nicht gesagt, du sollst vorsichtig sein? Das nächste Mal geht es weniger glimpflich ab.«
    Klick .
    Diesmal hörte sich die Stimme an wie Micky Maus unter Wasser. Sie troff vor Häme. Jemandem bereitete das Quälen Freude. Katinka lehnte sich an ihr Auto. Ein Brummifahrer ging vorbei und sah sie neugierig an.
    »Hallo«, sagte Katinka unbestimmt.
    Er nickte ihr zu.
    Katinkas erster Impuls war, hinüber zu den Bäumen zu stolpern und sich zu übergeben. Die Angst wurde groß wie die Taiga. Schließlich gelang es ihr, sich zu sammeln. Im Augenblick war sie nicht in Gefahr. Alles andere würde sich regeln lassen. Die Panik ist nur ein fehlgeleiteter Nervenimpuls, dachte sie. Sie ist nicht wirklich. Es ist mein Gehirn, das die Angst produziert.
    Sie kletterte ins Auto und aß von der Schokolade. Trank einen Schluck Wasser.
    Katinka rief in der Sportschule in Fürstenfeldbruck an und erfuhr, dass der Kung-Fu-Lehrer 20 vor fünf gekommen war und die Schule seitdem nicht wieder verlassen hatte.
    Er war es nicht, dachte Katinka. Sie startete den Motor.

     
    Als sie die Ausfahrt Bamberg-Süd nahm, war es kurz nach neun. Sie parkte vor der Brauerei ›Keesmann‹ und stellte den Motor ab. Lehnte die Stirn gegen das Lenkrad. Atmete tief durch. Sie durfte keinesfalls in diesem desolatem Zustand vor Hardo treten. Überhaupt sollte sie ihn anrufen, vielleicht war er noch nicht zu Hause.
    Jemand riss die Fahrertür auf. Ihr Herz setzte einen Takt aus.
    »Da bist du ja.«
    »Hardo! Um Gottes willen, hast du mich erschreckt!«
    Ihr Herz, jäh aus dem Rhythmus geworfen, schlug einen wüsten Trommelwirbel. Jetzt, wo er neben ihr stand, war die Versuchung groß, einfach loszulassen, sich der Anspannung hinzugeben und ihm um den Hals zu fallen.

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