Spinnefeind
klirrte. Kaffee ergoss sich über die Papiere und den Verandaboden. Rasch griff Katinka nach Valentes Aufzeichnungen und brachte sie in Sicherheit.
»Wenn ich die Leute in die Finger kriege, die meinem Sohn das alles antun, dann gnade ihnen der Allmächtige, das versichere ich euch! Ich hatte endlich wieder ein Leben, wisst ihr das? Meine Frau ist gestorben, das war verdammt hart, allein mit einem Jungen von zwölf Jahren. Alles pendelt sich irgendwann ein, und du lebst wieder und bist glücklich. Hannes und ich wollten einen letzten ungetrübten Sommer gemeinsam verbringen, bevor er Abi macht und auszieht. Wer kann mir die verlorene Zeit denn wiedergeben? Scheiße. Verfluchte, verfluchte Scheiße.«
Seine Wut löste sich in Erschöpfung auf. Kraftlos lehnte sich Niedorf an sein schön gedrechseltes Geländer.
»Wir arbeiten daran, Hannes zu finden, Herr Niedorf«, sagte Katinka und bückte sich, um die Scherben aufzuheben. »Mag sein, dass Hannes uns durch seine verschlüsselten Meldungen weiterhilft. Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken. Er muss ein Schlüsselwort gewählt haben, das wir knacken können.«
Valente sah sie skeptisch an, aber Katinka ging nicht darauf ein. Erst einmal musste Niedorf sich stabilisieren, und dazu waren Zweifel nicht hilfreich.
»Ich verspreche, dass ich drüber nachdenke«, sagte Valente und nahm Katinka seinen Block aus der Hand. »Aber jetzt muss ich heim. Es ist Samstag, und das ist bei meinem Vater ein anderes Wort für Familientag. Ich konnte nur schnell weg, weil meine Eltern in der Stadt unterwegs sind. Klamotten kaufen.« Er verdrehte die Augen.
Ojoj, dachte Katinka. Hoffentlich wird er bald 18.
»Darf ich die Postkarten mitnehmen? Ich bringe sie bestimmt zurück«, sagte Valente zu Niedorf.
Niedorf winkte ab.
»Wenn du sie brauchen kannst, von mir aus.«
»O. k.«, sagte Katinka. »Wenn du etwas findest, dann ruf mich an. Tag und Nacht.«
17. Der Kapuzenmann
Katinka hockte in ihrem Badezimmer und sortierte Schmutzwäsche. Um ihren Haushalt hatte sie sich seit Wochen nicht richtig gekümmert, und allmählich wurden die sauberen Sachen im Kleiderschrank knapp. Während sie das Waschprogramm einstellte, wiederholte sie die Chiffren von Hannes’ Postkarten wie ein Mantra. So geschickt, wie Hannes seine bisherigen Informationen unter die Leute gebracht hat, dachte sie, muss er dafür gesorgt haben, dass wir das Schlüsselwort finden können.
Katinka saugte die Wohnung und entsorgte anschließend verdorbene Lebensmittel. Leider gab es ziemlich viel in ihrem Kühlschrank, das zu verzehren ein gesundheitliches Risiko bedeutet hätte. Sie leerte alle Papierkörbe und brachte den Müll nach unten. Schließlich wanderte sie durch die Wohnung und warf einen Blick in jenes Zimmer, das früher Toms Arbeitszimmer gewesen war. Normalerweise betrat sie es nur selten, obwohl man von hier aus einen schönen Blick auf den Synagogenplatz hatte. Aber in dem Raum wohnten Erinnerungen, staubige Gefühle und ein paar Gespenster, die Katinka nicht aufscheuchen wollte. Dennoch fühlte es sich gerade heute richtig an, am Fenster zu stehen und hinauszublicken, die schön hergerichteten Fassaden schräg gegenüber in der Herzog-Max-Straße zu bewundern und mit den Fingern über das Fensterbrett zu streichen. Nur das alte Sofa war noch hier. Schreibtisch, Regale und natürlich seine Rechner hatte Tom mitgenommen. Ihm hatte es in Bamberg nie wirklich gefallen. Nun saß er in Berlin und atmete Hauptstadtluft. Katinka sah zu den Schäfchenwolken, die hoch oben über den Himmel trieben. Irgendwann vor langer Zeit war sie wirklich überzeugt gewesen, dass Tom der Richtige für sie sei. Doch wenn sie ehrlich war, hatten sich schnell Zweifel eingeschlichen. Sie hatte sie nur nicht wahrgenommen, obwohl ihr Hardos Zuneigung nie verborgen geblieben war. Die Heftigkeit ihrer eigenen Gefühle für ihn erschreckte sie. Zu lange hatte sie sie geleugnet. Mit Tom war sie in dieser Zeit nicht fair umgegangen, auch wenn sie sich um Offenheit bemüht hatte. Aber sie war sich selbst gegenüber nicht offen gewesen und hatte es daher zu anderen auch nicht sein können. Katinka öffnete das Fenster weit und atmete die schwüle Luft ein. Sommer. Eine gute Zeit für die Liebe, dachte sie. Nach ein paar Minuten schloss sie das Fenster wieder und ging in die Küche. Es wurde Zeit, dass sie ihren Rucksack ausräumte und ihre Sachen neu sortierte. Zerfledderte Kassenbons, klebrige Bonbons, rissige Latexhandschuhe
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