Spinnefeind
Hand riss sie herum.
»Nicht!« Sie wich vor ihm zurück. »Nicht.« Sie sank auf den Boden und stützte den Kopf in die Hände. Er hockte sich neben sie. Sie ließ zu, dass er sie in die Arme nahm und wiegte wie Kind. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Der Wind brachte erste Regentropfen. Hardo hielt sie fest und tröstete sie auf seine stumme, kraftvolle Art.
»Es tut mir leid«, murmelte Katinka, als sie sich halbwegs gefasst hatte.
Er wischte ihr die Tränen mit seinen warmen Händen weg.
»Rede.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Kann nicht.«
»Rede trotzdem.«
Er würde ja doch nicht lockerlassen. Aber was sollte sie sagen? Dass sie sich als Monster empfand, sich fühlte, als gehöre sie gar nicht mehr auf diese Welt, auf der eiskalte Unmenschen, wie sie einer geworden war, keine Daseinsberechtigung hatten? Dass ihr die Demütigungen aus dem Boxklub keine Ruhe ließen? Dass sie Angst vor der Angst hatte?
»Ich bin herzlos«, schluchzte sie. »Ich habe gar nicht verstanden, wie schrecklich das alles ist. Ich bin ein Ungeheuer.« Sie schauderte. »Wie entsetzlich alles für Falk war und welche Angst er gehabt haben muss. Wie Niedorf sich fühlt, weil Hannes weg ist, und wie es Hannes geht. Das alles war mir nicht klar! Ich war nur gereizt, weil ich nicht durchblicke und im Dunkeln herumtappe. Falk ist neben mir erschossen worden, aber ich …« Sie konnte kein Wort mehr sagen.
»Katinka, das stimmt nicht. Schau mich an. Nein, schau mich an.«
Sie hob das Gesicht und schämte sich. Bestimmt sah sie übler aus als E.T.
»Du hast schlimme Sachen gesehen. Du musst deine Arbeit machen, deshalb hast du die Gefühle ausgesperrt.«
Katinka schüttelte mit Bestimmtheit den Kopf.
»Doch, genauso ist es, und das weißt du selbst auch. Du bist kein Unmensch. Das darfst du nicht einmal denken.«
»Ich habe niemandem helfen können. Falk nicht, und ich kann auch Niedorf nicht helfen.«
Hardo drückte sie fest an sich. Sie barg ihr Gesicht in seinem Hemd. Es tat gut, sich zu verstecken. Wenn auch nur für Augenblicke.
»Du machst diesen Job nicht, um Menschen zu helfen. Schreib dir das hinter die Ohren. Unsere Aufgabe ist es, Verbrechen aufzuklären. Dass dabei Menschen unter Umständen geholfen wird, ist eine Folge unserer Arbeit. Aber nicht ihr Zweck.«
Da war etwas dran. Katinka schniefte. Allmählich glätteten sich die kalten, schwarzen Wogen in ihrem Innern. Wenn auch nur, weil beim Weinen Stoffe ausgeschüttet wurden, die eine betäubende Wirkung hatten. Das hatte sie irgendwo gelesen.
»Schau mal«, fuhr Hardo fort. »Oft macht unsere Aufklärung für die Betroffenen alles noch schlimmer. Denk an deine Fälle, in denen du Untreuegeschichten geklärt hast. Dein Auftraggeber will zwar, dass du Beweise für den Seitensprung seiner Frau zusammenträgst, aber wenn er dann die Fotos in Händen hält, wäre es ihm lieber, du hättest das Gegenteil bewiesen.«
»Hast du nie Angst?«
»Doch. Sehr oft. Noch öfter mache ich mir Vorwürfe, etwas übersehen zu haben, einen Sachverhalt nicht klar genug durchdacht zu haben. Ich bin es leid, immer mit dem Irrwitzigen, Grausamen am Menschen zu tun zu haben. Mache mir wegen dieser Gefühle auch wieder Vorwürfe. Diese Seite unserer Arbeit kann einen zermürben. Aber sie tut es nicht unbedingt.« Er nahm ihre Hände. »Du bist stark, Katinka. Und du bist ganz bestimmt kein Ungeheuer.«
»Ich habe Hunger«, murmelte sie. »Ich will was essen. Und danach möchte ich mit dir und einer Wärmflasche ins Bett.«
Er strich ihr mit dem Zeigefinger über die Stirn.
»Das wird sich einrichten lassen.«
Und wenn das alles vorbei ist, wollte Katinka fragen, bleiben wir dann zusammen? Aber sie konnte die Frage nicht aussprechen. Sie war einfach zu groß.
Wenn im Hochsommer das Wetter verrücktspielt, dann brummt der Laden.
Sie hat nur einen kleinen Biergarten, deshalb kann sie bei schönem Wetter nicht mit viel Umsatz rechnen. Ihre Chance ist der dunkle Winter. Der in Deutschland um einiges länger als ein halbes Jahr dauert, und sie ist eine der wenigen, die sich darüber freut.
Sie hat so viel Arbeit, dass sie kaum Zeit findet, sich Gedanken zu machen. Sie muss sich lediglich ruhig verhalten. Mehr nicht. Keine Spur wird zu ihr führen, und sie hat es sich leicht gemacht, indem sie die Detektivin voller Herzlichkeit empfangen und ihr ohne Umschweife ihre Geschichte erzählt hat. Diese Offenheit wird der Schnüfflerin das Gefühl geben, mit einer ehrlichen Haut zu
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