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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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suchen, Tammer hatte Fieber, er wollte zu seiner Mutter und in sein eigenes Bett. So kam es, dass Otto Lindas Zuhälter kennenlernte. Fredao kam aus Angola, er behauptete, als Kindersoldat für die UNITA gekämpft und am Befreiungskrieg gegen die Portugiesen teilgenommen zu haben.
    Wenig später erwähnte Otto Tammers Schulgebühren und die Aufwendungen für Bücher und Kleidung, und er bat Fredao um Hilfe. Otto, Alter, sagte Fredao – sie saßen betrunken am Fluss unter einer Brücke –, hör zu, die ärmsten Schweine waren wir, weil wir von den Portugiesen kolonisiert worden sind. Die Franzosen haben ein bisschen Kultur mitgebracht, die Briten ein Rechtssystem – aber die Portugiesen gar nichts. Als die Arschlöcher das Land verließen, haben sie die gesamte Industrie demontiert, die haben nichts zurückgelassen, nicht eine Glühbirne in einer Fabrik, nicht eine Neonröhre in irgendeinem Laden. Dann kamen die Kubaner, die wollten uns zwar nicht kolonisieren … Ich habe den kubanischen Soldaten die Frauen besorgt, so bin ich zur Zuhälterei gekommen. Fredao lachte. Ein Soldat braucht Waffen, Essen und Sex, ohne das geht es nicht, und unsere Frauen waren bereit, diesen Kämpfern ihre Körper anzubieten, denn die Kubaner bauten Schulen für unsere Kinder und brachten uns Ärzte, sauberes Wasser und Medikamente. Die Kolonisatoren aus Europa dagegen haben jahrhundertelang auf unserem Kontinent gewütet, sie haben uns geschunden, aber hinterlassen haben sie nichts. Gar nichts!
    Als Fredao sich wieder beruhigt hatte, sah Otto ihm tief in die Augen und sagte so ruhig wie möglich: Das Kind will zu seiner Mutter, bald fängt die Schule wieder an. Linda arbeitet sehr hart. Aber sie arbeitet für einen guten Zweck, sagte der Zuhälter und lachte.
    Eines Tages kam Aisha nach Hause und fragte: Was machst du mit deinem Leben, Otto? Was wird aus uns beiden?
    Ich werde für dich sorgen, antwortete er, nahm sie in den Arm und hielt sie lange fest.
    Otto nahm nun verschiedene Jobs an, er verkaufte Schuhe und arbeitete in einem Lager, er lieferte chinesisches Essen aus und verkaufte an einem Stand Hemden. Die Abende nutzte er weiter für seine politischen Aktivitäten. Er schrieb wütende Leserbriefe, verlangte den Bau von neuen Sozialwohnungen und protestierte gegen Immobilienhaie. Er schrieb sogar einige Erzählungen. Als Aisha sie gelesen hatte, fuhr sie ihm durchs Haar und sagte: Baldwin bist du nicht, vielleicht hältst du dich lieber an deine Propaganda. Einige seiner Artikel wurden als Pamphlete gedruckt oder in kleinen, radikalen Zeitschriften veröffentlicht. Andere wurden bei Demonstrationen verlesen.
    Nachts hörten Otto und ich manchmal die alten Reden von Stokely Carmichael, wir saßen rauchend am Fenster und spielten alte Kassetten der Black Panthers ab. Vor jeder Demo, vor jeder Veranstaltung füllten wir Eimer mit warmem Wasser und rührten Stärke hinein. Wir steckten die Pamphlete in unsere Rucksäcke, liefen kreuz und quer durch das Viertel, pinselten den selbst gemachten Kleister an Ampeln und Masten und klebten ganze Mauern und Häuserblöcke voll mit unseren Aufrufen zu Revolte und Gerechtigkeit.
    In einer solchen Nacht schlich sich von hinten ein Polizeiwagen heran, erst als sie uns beinahe schon angefahren hatten, schalteten sie die Scheinwerfer ein. Ich, Fly, der die Flutlicht des Zirkuszelts gewöhnt war und die Härte des Bühnenlichts kannte, sprang über einen Zaun und machte mich durch die Gärten davon. Doch der nachtaktive Otto erstarrte wie ein Reh auf der Fahrbahn. Die beiden Polizisten begannen, die Poster herunterzureißen. Statt abzuhauen, protestierte Otto wütend und trat gegen einen Eimer, der auf der Motorhaube des Polizeiwagens landete. Die Polizisten zerrten ihn ins Dunkle und bearbeiteten ihn mit Schlagstöcken, bis er benommen liegen blieb. Das kommt davon, wenn man mir die Schuhe schmutzig macht, sagte der eine auf dem Weg zurück zum Wagen.
    Als ich merkte, dass Otto nicht hinter mir war, rannte ich zurück. Ich fand ihn und hatte Mühe, ihn aufzurichten. Er saß auf der Straße, sein Hemd war blutgetränkt, er verdrehte die Augen vor Entsetzen. Scheißbullen, fauchte er. Er spuckte rot und wischte sich mit dem Ärmel das Blut aus dem Gesicht. Scheiße, diese Schweine, die werden noch was erleben …
    Aisha setzte sich weiter für misshandelte Frauen ein, für vernachlässigte Kinder und für zu Unrecht gekündigte Mieter. Ottos Wunden waren noch nicht verheilt, da brach sie

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