Spinnen füttern
irgendwann zusammen. Wir können nicht mehr, sagte sie weinend, wir brauchen beide Ruhe. Wir beschlossen, uns zu trennen. Otto und Aisha gaben die Wohnung auf und verließen das Viertel. Ich machte eigene Pläne. Die beiden waren älter und ärmer geworden, sie sahen sich mit anderen Augen, die ehemaligen Kameraden hatten sich längst aus der Bewegung zurückgezogen, sie hatten geheiratet, machten Karriere und zogen ihre Kinder groß. Aisha sagte, sie müssten sich jetzt umeinander kümmern, was ich verstand. Sie weinte und erklärte, wie sehr sie mich beide liebten.
Ich ging in den folgenden Jahren eigene Wege, doch der Kontakt zu Otto und Aisha brach nie ganz ab. Manchmal besuchten sie mich, blieben eine Woche, wir sprachen über Bücher und Musik und alte Zeiten. Ein- oder zweimal erwähnten sie Tammer und seine unglückliche Mutter. Dann fuhren sie wieder, und ich hörte eine Weile nichts von ihnen. Bis mich eines Tages Otto anrief und bat, ihn im Krankenhaus zu treffen. Aisha lag in ihrem Bett, sie war alt geworden und wirkte sehr gebrechlich. Sie erkannte mich kaum, ich hielt ihre Hand und weinte. Ich sah Otto an und sagte: Verzeih, dass ich weine. Wir weinen alle, antwortete er.
Nach Aishas Tod zog sich Otto zurück, er ließ sich nirgends mehr blicken. Ich rief ihn einige Male an, aber er meldete sich nicht. Dann stand er plötzlich vor meiner Tür, er trug einen Bart und hatte ein Sechserpack Dosenbier in der Hand. Nur ein paar Tage, sagte er. Ich arbeitete nachts, er schlief dann in meinem Bett. Am Morgen weckte ich ihn, und während ich schlief, saß er in der Küche, rauchte und trank Kaffee. Am Nachmittag, wenn ich aufstand, aß er ein Butterbrot und ging raus, ich hatte die Wohnung einige Stunden für mich allein.
Auf dem Küchentisch stapelten sich Akten und Bücher. Stundenlang saß er da, las und machte Notizen. Er brachte Bücher aus der Bibliothek mit, die er intensiv bearbeitete, er hinterließ Eselsohren und Unterstreichungen. Als ich ihn fragte, woran er arbeite, erklärte er, er mache eine Liste mit wichtigen Leuten.
Willst du Spenden sammeln?, fragte ich.
Er lachte und blies einen Ring aus Rauch. Na klar, Spenden, sagte er und warf mir einen halb belustigten Blick zu. Du bist wirklich ein Spinner, Fly.
Einmal versuchte ich, mit ihm über Aisha zu reden. Er sah mich an und sagte: Sie ist tot. Sie haben sie umgebracht.
Wer?
Diese Welt hat sie umgebracht.
Eines Nachts kam ich nach Hause, der Küchentisch war leer geräumt. Ich ziehe weiter, stand auf einem Zettel, melde mich.
Einige Wochen darauf nahm er an einer großen Demonstration teil, die von verschiedenen Gruppen organisiert war, von Gewerkschaften, linken Intellektuellen, Anarchisten und anderen Aktivisten. Der Anlass war ein Gipfeltreffen mehrerer Regierungschefs, die eine Reihe neoliberaler Wirtschaftsreformen durchsetzen wollten.
Tausende nahmen an dem Protestmarsch teil. Die Polizei errichtete Absperrungen, ein Teil der Innenstadt wurde gesperrt, niemand durfte hinein. Arbeiter und Anführer hielten Reden, Flaggen wurden geschwenkt und Lieder gesungen. Am Abend brannte in einem Park ein großes Lagerfeuer, die Demonstranten kampierten dort und trommelten und tanzten die ganze Nacht.
Auch Otto war da. Er hörte plötzlich Rufe und Warnungen von ein paar Aktivisten, dann forderte ein Polizist mit einem Megafon sie auf, das Feuer zu löschen und den Park zu verlassen. Aus der Menge kamen Buhrufe, die von Kopf bis Fuß gerüsteten Polizisten begannen, mit ihren Schlagstöcken gegen die Schilder zu trommeln. Sie rückten unaufhaltsam vor. Die Menge wurde zurückgedrängt, während sich in ihrem Rücken ein weiterer Zug von Polizisten formierte, der ebenfalls vorrückte. Sie kesseln uns ein!, rief Otto und rannte auf den Kordon zu. Er schleuderte seine Bierflasche, sie prallte an einem Polizeischild ab und zersprang auf dem Asphalt. Viele Demonstranten wurden in dieser Nacht verhaftet, aber es war Otto, an dem das Exempel statuiert werden sollte.
Ich hatte seit Monaten nichts von ihm gehört. Eines Morgens, als ich in die Garage fuhr, sah ich ihn vor dem Haus stehen. Er rauchte und wartete, in der Hand hielt er einen Kaffeebecher aus Styropor. Ich parkte und ging zu ihm. Ich blieb bei ihm stehen und versuchte, dort mit ihm zu reden, in der Hoffnung, dass Zainab gleich aus dem Haus kommen würde. Doch Otto wollte in die Wohnung, ich folgte ihm die Treppe hinauf. Sein Atem ging schwer, er war fett geworden und ließ die Schultern
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