Spinnen füttern
ließ die Tiere verschwinden. Später auf dieser Reise ging das Futter aus, die Tiere wurden so mager, dass ihnen die Knochen herausstanden. Hungrig und wimmernd schliefen sie ein, es war überhaupt kein Geld mehr da. Die Truppe versammelte sich, und der Zirkusdirektor nahm einige Stöckchen und warf sie in den Zylinderhut des Zauberers. Wir zogen unser Los, und als wir fertig waren, gab man mir eine Pistole und fünf Patronen. Ich ging in den Stall und erschoss das größte Pferd.
Sechs Tage lang aßen wir Pferdefleisch, das Feuer flackerte schwach, der Pantomime zog ein langes Gesicht, und der Muskelmann rief alle zusammen. Jeder muss jetzt eigene Wege gehen, erklärte er. Wir bringen die Pferde nach Irland und lassen sie frei. Die Hunde bringen wir nach Spanien, die Elefanten und Schimpansen nach Afrika. Wer keine Tiere führen muss, kann gehen, wohin er will. Die Welt ist verrückt geworden, auch wir müssen uns anpassen, es war nur eine Frage der Zeit.
Die Bärtige Dame packte unsere Koffer und sagte: Ich habe einen entfernten Cousin in Amerika, dem werde ich schreiben. Er wohnt in einer Stadt mit einem Karneval.
Zylinder
Wir weinten und sangen noch lange an diesem Abend, wir tanzten unseren Abschied, bevor mich die Bärtige Dame in neue Kleider hüllte, mir einen Zylinder und neue Schuhe schenkte. In Marseille schifften wir uns ein, wir fuhren durch das Mittelmeer und überquerten den Atlantik.
Auf dem Schiff begegneten wir einem Zauberer, wir kannten alle seine Tricks. Lächelnd besuchten wir seine Aufführungen, zu seinem Repertoire gehörten: der schwebende Zauberstab, das Protokoll der Knoten, die Laterne des Diogenes, das Kartenhaus. Als er fertig war, gingen wir zu ihm und baten um eine Privatvorstellung, wir wünschten uns die verzauberte Banknote, den Blumenkranz im Hut oder die Zauberglocke und der Schmetterling.
Der Zauberer lachte und stellte sich vor, er nannte sich Mr W. Frinkell. Die Bärtige Dame bat ihn um seinen richtigen Namen und versprach, zum Dank die Vögel in seinem Zylinder zu füttern. Nennt mich Pips, sagte er und schüttelte unsere Hände. Ich hatte bereits einige Erfahrung in der Kunst der Täuschung gesammelt, ich wusste, was in den Ärmeln der Zauberer steckte, und so bot ich an, bei seinem nächsten Auftritt zu assistieren. Ich nahm seinen Zylinder und sammelte Uhren und Juwelen ein, das Taschentuch verwandelte sich in eine Schar von Vögeln und der Stock in Blumen, und aus dem Horizont stieg eine Sonne, und der Zylinder wurde meine Welt. Am Abend luden wir den Zauberer zu einem Deckspaziergang ein. Ich bin um die ganze Welt gereist, sagte er, und wo ich auch hinkam, waren mir die Zwerge und Käuze immer die liebsten Menschen.
Wenn ich während der restlichen Überfahrt nachts aufwachte, musste ich feststellen, dass das Bett, das ich mit der Bärtigen Dame teilte, weitgehend leer war. Ich war allein. Ich freute mich, denn ich wusste, dass La Dame in guten Händen war. Pips war bestimmt glücklich, dass sie in seinem Bett lag, während das Schiff in den Ozeanwellen rollte und das Deck überspült wurde und hinter den kleinen runden Fenstern Wasser sichtbar wurde und Fische und allerlei andere Geschöpfe, die im Meer ihr Zuhause hatten.
Pips beschloss, uns bis ans Ende unserer Reise zu begleiten, und als wir in die Stadt des Karnevals kamen, zogen wir gemeinsam in eine kleine Wohnung mit einem Bad, das wir uns teilten. Pips konnte ein bisschen arbeiten, er trat bei Geburtstagspartys auf und in einem Restaurant, doch plötzlich brach die Armut in unser Leben, der Hunger kroch uns aus Jacken und Hüten, er legte sich auf unsere Matratzen und Tischdecken. Wir suchten alle drei verzweifelt nach Arbeit. Mit Turban und einem langen, bis zum Boden reichenden Umhang bekleidet, stellte ich mich an die Straße, und Pips rief: Seht diesen Jungen hier, er ist ein Hellseher, er weiß, wie alt ihr seid, wie schwer ihr seid, wie viele Jahre euch noch bleiben …
Die Bärtige Dame fand keine Stelle, die Menschen hier erwarten in allem Klarheit: Männer sind Männer, und Frauen sind Frauen, und wer irgendwo dazwischenliegt, gehört den Aasgeiern und Krokodilen. Das Geld reichte kaum zum Überleben. Eines Tages nahm mich Pips beiseite, er drückte mich und sagte: Hör zu, mein Kind, ich habe noch einen Trick im Ärmel, aber dazu brauche ich deine Hilfe, und unsere Dame darf nichts erfahren. Das Wort »Spiritismus« fiel, er zeigte mir ein Buch, es hieß Das Buch der Medien und die geheime
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