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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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mir, weil er so weitermachen kann mit diesem Leben, seiner Familie Geld schicken. Wenn ich als Eskortgirl arbeite, sieht das ganz anders aus. Sobald das Telefon klingelt, schlüpfe ich in eine Rolle. Ich bin nicht mehr ich, ich fühle mich, mir fehlt der richtige Ausdruck … flüchtig, entrückt, verschoben … mein Körper bedeutet mir nichts, er ist wie ein Durchgang, sage ich mir. Die Agentur schickt einen Wagen, ich fahre irgendwohin, vor mir steht irgendein Kunde. Mit diesen Schreibtischtätern und Millionären gibt es mehr Schwierigkeiten als mit den Arbeitern. Aber ich habe eine Notruftaste auf dem Handy, da drücke ich drauf, wenn es Probleme gibt, und sofort taucht der Riese aus der Agentur auf, wenn es sein muss, tritt er die Tür ein.
    Ich lernte Sally immer besser kennen und sah, wie wunderbar, wie intelligent und normal sie war. Sie wurde mir immer wichtiger, und das spürte sie. Doch eines Abends lernte sie bei einem Eskortauftrag einen jungen, gut aussehenden Rechtsanwalt kennen. Als sie fertig waren und sie ihr Geld hatte, stieg sie zitternd und weinend in die Limousine. Sie musste dem riesigen Fahrer versichern, dass alles in Ordnung sei. Als sie zu Hause war, rief sie mich an. Sie hatte Angst. Ich weiß nicht, was mit mir los war, Fly. Ich habe etwas ganz Dummes getan. Da war so ein Rechtsanwalt – klug, reich, jung und hübsch. Wir haben uns unterhalten, und dann haben wir miteinander geschlafen, ohne Gummi. Ich weiß nicht, was mit mir los war, sagte sie noch einmal, ich bin noch nie so unvorsichtig gewesen. Ich habe den Fahrer angerufen, um ihm zu sagen, dass ich verlängert habe, ich habe sogar selbst dafür bezahlt. Ich wollte einfach nicht mehr weg. Ich glaube, ich habe mich in diesen Mann verliebt. Er weigerte sich, mir seine Nummer zu geben. Wahrscheinlich ist er verheiratet, wie so viele, vielleicht hat er auch Vorurteile. Fly, sagte sie, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.
    Am folgenden Donnerstag wartete ich hinter dem Club auf Sally, aber sie kam nicht. Ich fragte den Türsteher, der mich inzwischen kannte. Die hat gekündigt, sagte er. Ich rief sie an, ihr Telefon war abgestellt. Ich fuhr zu ihrem Haus und hörte mich um. Der Hausmeister sagte, sie sei ausgezogen. Sie hatte die ausstehende Miete bezahlt und war verschwunden.
    Ich habe Sally nie wiedergesehen. Ein paar Monate lang habe ich noch überall nach ihr gesucht. Ich bin sogar in die Stadt mit dem Schlachthof gefahren, und ich habe das Motel am Ortsrand gefunden. Am Empfang stand ein großer, unrasierter Türke, den ich bestach. Ich bestach ihn, weil ich die Geschichte der großen Weltreiche und ihrer Untertanen kenne: Die Ottomanen waren für ein System berüchtigt, das allein auf Bestechung beruhte. Das habe ich mal in einem Buch von einem englischen Autor gelesen, es steht noch immer in meinem Regal. Genauer gesagt, im Badezimmer gleich neben der Tür, im zweiten Regal von unten, in der orientalistischen Abteilung.
    Ich fragte den Türken nach den Magdalenas. Die Fiesta ist vorbei, antwortete er. Die drei Mädels hätten kein Zimmer mehr gebucht, und die Arbeiter würden nicht mehr kommen, außer einem einzigen, hochgewachsenen Araber, erzählte der Türke, der kommt immer am Monatsende, mietet ein Zimmer, setzt sich auf die Fensterbank und raucht.
    Die Bärtige Dame
    An dem Morgen, als mein Vater sie verlassen hatte, wachte meine Mutter auf, sah, dass das Kamel und seine Sättel fort waren, sie sank zu Boden, weinte und raufte sich die Haare. Pferd, Hund und Schimpanse liefen im Kreis um sie herum und leckten ihre Tränen auf, sie strichen ihr tröstend über die Arme und leckten ihr Gesicht, bis sie wieder bei Sinnen war. Der Muskelmann hob sie auf und brachte sie ins Bett. Ich sah, wie die Bärtige Dame meiner Mutter das Gesicht abtupfte, wie sie ihre Stirn mit einem feuchten Tuch kühlte. Aber meine Mutter wurde immer schwächer. Ich ging nun zum Essen zur Bärtigen, in ihrem Zelt machte ich meinen Mittagsschlaf und meine Hausaufgaben. Wenn ich La Dame, so lautete ihr Bühnenname, abends fragte, wie es um meine Mutter stand, sagte sie: Deine Mutter lebt jetzt in einer eigenen Welt. Iss, ich erzähle dir eine Geschichte.
    Sie las mir die französischen Klassiker vor, wir weinten um Cosette in Les Misérables , wir lachten über Le Malade Imaginaire von Molière, und wir lasen dem Äffchen Les Fables de La Fontaine vor.
    Einmal sah ich die Bärtige Dame unter der Dusche stehen. Ich fragte sie, warum sie einen

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