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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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Mann weinte. Fly, ich habe ihm die Pistole an den Kopf gedrückt. Ich weiß noch, er hat gesagt: Sie brauchen diese Maske nicht, Sie brauchen diese Pistole nicht. Ich weiß, wer Sie sind. Wir können doch reden wie zwei zivilisierte Menschen. Mein Land ist kein zivilisiertes Land, sagte ich, mein Land ist nicht zivilisiert, ich bin nicht zivilisiert, ich bin nicht zivilisiert, Camus war nicht zivilisiert … er musste die Sätze mehrmals wiederholen … und ich spürte etwas wie einen Rausch, eine Hitzewelle, die mir in den Kopf stieg. Ein Schuss löste sich, der Mann stürzte zu Boden. Ich weiß nicht, was dann passiert ist. Der Schuss hat sich gelöst, Fly … Ich weiß nicht mehr, Fly, ich weiß nicht mehr, was dann passiert ist.
    Otto strich sich das fettige, verfilzte Haar aus der Stirn. Ich bot ihm noch eine Zigarette an, gab ihm Feuer, er schützte die Flamme mit beiden Händen.
    Ich helfe dir, sagte ich, was hast du denn nun vor?
    Ich werde mich eine Weile verstecken, von Ort zu Ort ziehen. Die dürfen mich nicht kriegen, Fly. Ich will nicht zurück in dieses Irrenhaus.
    Und die Pistole?, fragte ich.
    Die behalte ich, für alle Fälle.
    Schmeiß sie in den Fluss, Otto.
    Nein, Fly, ich behalte sie. Für alle Fälle. Ich kann mich nicht verhaften lassen, ich kann nicht aufgeben. Aber hierbleiben kann ich auch nicht. Das Stück ist bald zu Ende, wir sind im letzten Akt. Irgendwann musst du dich verbeugen, irgendwann musst du abtreten.
    Warte, sagte ich.
    Aber Otto fasste meinen Kopf und küsste zum Abschied meine Stirn.
    Am nächsten Tag klopften zwei Polizisten an die Tür, ich ließ sie herein. Sie standen zwischen den Krimis und der Kulinarik, wie ich belustigt feststellte, beide Abteilungen sind nah am Fenster, sie schützen mich vor Brandstiftung, Fettbränden, Giftanschlägen und Mordversuchen aller Art.
    Kennen Sie einen Mr Otto Blake?, wurde ich gefragt.
    Ja, er ist ein Freund von mir.
    Wie lange kennen Sie Mr Blake?
    Seit zwanzig Jahren, mindestens.
    Hat Mr Blake bei Ihnen gewohnt?
    Er ist manchmal zum Schlafen vorbeigekommen.
    Es lässt sich manchmal Post an diese Adresse schicken?
    Ja, er ist ja viel unterwegs. Kann sein, dass er die Anschrift hier angibt.
    Hat er einmal einen Mr Bouchard erwähnt?
    Nein. Der Name sagt mir nichts.
    Ein französischer Journalist, der vor zwei Tagen ermordet wurde. Ins Gesicht geschossen. Mit einer 9-Millimeter-Pistole.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Mr Blake wurde vorher in einer Kneipe gesehen, im Irish Pub auf der Curtis Street, er hatte eine Auseinandersetzung mit Mr Bouchard. Wissen Sie etwas darüber?
    Nein, dazu kann ich nichts sagen.
    Waren Sie am Abend des Siebten in dieser Kneipe? Also am Freitag?
    Ja, ganz kurz.
    War Mr. Bouchard auch anwesend?
    Das kann ich nicht sagen. Es war sehr voll.
    Schauen Sie sich dieses Foto von Mr Bouchard an. Da war sein Gesicht noch in Ordnung.
    Ich weiß nicht, es ist ja Karneval. Es war ganz schön chaotisch. Ich habe nur mit Otto gesprochen.
    Hat Mr Blake mit Mr Bouchard gesprochen?
    Wie gesagt, es war sehr voll.
    Wissen Sie, ob Mr Blake eine Pistole besitzt?
    Nein, keine Ahnung.
    Wohin sind Sie gegangen, als Sie die Kneipe verlassen haben?
    Ich bin wieder an die Arbeit gegangen. Ich bin Taxifahrer. Ich habe getankt.
    Haben Sie die Quittung noch?
    Ja. Warten Sie einen Moment, ich habe sie gleich. Mein Portemonnaie lag auf dem Küchentisch. Es dauerte eine Weile, bis ich den richtigen Zettel gefunden hatte. Ich reichte ihn dem Polizisten, der sich aufmerksam meine Bücher ansah.
    Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir die mitnehmen?
    Nein.
    Was haben Sie sonst noch gemacht?
    Ich bin die ganze Nacht gefahren, ich hatte Kunden.
    Gibt es einen Kunden, der sich vielleicht an Sie erinnern würde? Gibt es in der Zentrale Aufzeichnungen, anhand deren sich Ihre Fahrten und Standorte nachweisen ließen?
    Nein, ich fahre auf eigene Rechnung. Ich verlasse mich nicht auf die Zentrale.
    Sie fahren also in der Stadt herum …
    Ja, ich fahre und nehme Leute mit, die am Straßenrand stehen. Ich finde es langweilig zu warten, bis sich die Zentrale meldet.
    Können Sie uns jemanden nennen, irgendjemanden, der bestätigen kann, dass Sie in der Nacht gefahren sind?
    Ich habe einen alten Mann und seine Tochter in ein Altenheim nach Eastmount gefahren. Ich habe ihm geholfen, ins Haus zu kommen.
    Wissen Sie, wie er hieß?
    Nein, aber ich weiß noch, dass er weinte. Ich habe dann noch die Tochter nach Hause gefahren, die Adresse kann ich Ihnen

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