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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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etwas damit anfangen, die meisten arabischen Schriftsteller in meiner Sammlung, wie etwa Munif, der das großartige Städte aus Salz geschrieben hat, findet man hier in einer Unterabteilung, die den Namen »Pariser Cafés« trägt. Die Abteilung enthält Werke von Exilanten, die ihre Heimat verlassen mussten und den Rest ihres Lebens in Pariser Cafés verbracht haben, wo sie rauchten und über den Verfall zweier Kulturen klagten, die französische und die eigene. Sie sind echte Schriftsteller, denn sie haben sich so lange gegen ihre eigenen Regierungen zur Wehr gesetzt, bis ihre Zähne gelb waren von den amerikanischen Zigaretten, die ihnen das Lachen und das Lächeln verdarben. Aus Scham, vielleicht auch Trauer verbrachten sie den Rest ihres Lebens in einem chronischen Zustand poetisch-existenzieller Vereinsamung. Wenn Sie mir bitte folgen würden … Pass auf, dein Kopf … Schau hier über der Toilette, hier findest du die apolitische Wohlfühlliteratur. Die Hauptfunktion dieser friedsamen Seiten besteht darin, wie ein Schwamm die ganze klebrige Schwüle aufzusaugen, die entsteht, wenn ich gelegentlich dusche und mich am Morgen … Nun, so genau willst du es bestimmt nicht wissen … Und dann, gleich hier neben dem Fenster, hätten wir noch diese kleine Sammlung. Es handelt sich hier, wenn ich das kurz umreißen darf, um die eskapistische Literatur, die sogenannten Selbsthilfebücher, die ich hin und wieder von der Rückbank meines Taxis aufsammle. Die Lage hat natürlich mit Slapstick-Filmen und anderen Komödien zu tun, in denen immer mindestens einer durch ein offenes Badezimmerfenster entkommt.
    Wie bist du denn zu dieser enormen Sammlung gekommen, Fly?, fragte Zainab.
    Ach, liebste Zainab, ich dachte schon, du würdest niemals fragen. Das war so: Als die Bärtige Dame vom Zirkus, die mich nach dem Tod meiner Mutter zu sich genommen hatte, eines Tages in unserer kleinen Wohnung zusammenbrach, hob ich sie auf und lief durch die ganze Stadt, um einen Arzt zu finden. Keine dieser frommen Seelen wollte sich bequemen, einen Hausbesuch zu machen. Niemand traute sich, eine Bärtige zu berühren, eine Frau mit einem Penis, mit sündigen Brüsten, die Gebühr, die nötig gewesen wäre, um sie umzustimmen, konnten wir uns nicht leisten. Und da die Dame der Meinung war, dass jeder Mensch das Recht habe, in Würde zu sterben, weigerte sie sich, ein staatliches Krankenhaus zu betreten. Ich war gerade sechzehn damals, man kannte mich als den Sohn einer Missgebildeten. Ich trug die Bärtige Dame in das ärmste Viertel der Stadt, wo ich endlich einen Arzt fand, der bereit war, uns zu helfen. Er war äußerst belesen, wir sprachen immer wieder über Bücher, und eines Tages schenkte er mir einen Roman von Baldwin (Ich habe die Ausgabe noch: Sie steht auf dem ersten vergoldeten Regal, gleich links vorn, ein Stückchen über alle anderen Bücher erhoben … Es war Giovannis Zimmer  … Hier ist es ja.)
    Der gute Doktor kümmerte sich dann ohne Bezahlung um die Bärtige Dame. Ihre Krankheit zog sich schon seit Jahren hin. Ich hatte die Schule abgebrochen und verdiente etwas Geld, oben in den feineren Vierteln und unten in der Stadt. Irgendwann gelang es mir, einen Job als Fahrer für verschiedene Restaurants zu landen. Ich lieferte in der ganzen Stadt aus, ich erhaschte Blicke in die Wohnzimmer der Menschen, sah die Kreuze über den Fernsehern und die Kreuze, die in der Küche zwischen Töpfen und Suppenkellen hingen. Ich sah das Strahlen auf den Gesichtern ausgehungerter Arbeiter, wenn sie ihre Hamburger aus dem Pappkarton fischten, die Fritten aus den Tüten, die geeisten Colabecher. Eines Tages lernte ich einen Professor kennen, er bestellte alles ohne Fleisch und mochte es immer besonders salzig. Wenn ich bei ihm klopfte, dauerte es immer, bis er an die Tür kam, er hatte anderes im Kopf als Essen, und wenn er das Kleingeld zählte, vertat er sich regelmäßig. Jedes Mal sagte er die exakt selben Worte: Oh, da sind Sie ja schon, ich lege eben das Buch weg und hole das Geld, ich glaube, es ist … Und die Tür fiel ins Schloss und es kam sogar vor, dass ich noch einmal klingeln musste, er hatte mich vor seiner Haustür einfach vergessen.
    Doch einmal bat er mich eilig ins Haus, beinahe ohne mich anzusehen. Er schob mich zur Kellertür und sagte: Die Sicherungen, sie sind da hinten … Ich sah mich kurz um und verstand, dass das Haus eine Galaxie von Büchern war, und ich stand mitten darin. Seine Sicherung könne ich

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