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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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unterhielt sich angeregt mit einem elegant gekleideten Herrn.
    Ich trat näher, die beiden waren mitten in einer heftigen Diskussion. Der Mann hatte einen starken französischen Akzent, der mich an die Bärtige Dame erinnerte. Otto erklärte dem Mann, dass mit dem französischen Empire auch die französische Kultur zugrunde gegangen sei, verdientermaßen.
    Der Mann sprach über den bleibenden Einfluss, den die Franzosen auf die globale Kultur hätten.
    Kultur?, rief Otto entsetzt. Soll ich Ihnen mal sagen, was Kultur ist? Wenn ich Museen besuche, wenn ich mir Monumente anschaue, die den Diebstahl feiern und die Unterdrückung, dann denke ich nur an eines, und zwar an das Leiden der Sklaven, an den Hunger der Arbeiter, die die schweren Steine geklopft und auf ihren Rücken herbeigetragen haben. Wissen Sie, an welche Kultur ich glaube? Ich glaube an die Sklavenrevolte von Eunus, die Auflehnung gegen das brutale Römische Reich. Ich glaube an die Emanzipation von Haiti, als das Joch der französischen Kolonialherrschaft abgeworfen und Napoleon der Dritte in den Arsch gefickt wurde. Gewalt und Widerstand sind die einzigen Mittel. Du musst dem Weltreich wehtun, sonst frisst es dich auf. Nichts bewegt sich, bis irgendeinem die Knarre an die Stirn gehalten wird. Die Weltreiche sind Kannibalen, und sie sind immer hungrig …
    Komm, wir machen einen Spaziergang zum Fluss hinunter, sagte ich.
    Nein, nicht zum Fluss, Fly. Die einzige Flüssigkeit, die ich im Moment ertrage, ist in diesem Glas hier. Geh allein zu deinem Fluss. Wie oft ergibt sich schon die Gelegenheit, mit einem Journalisten zu sprechen, der auch noch Kolonialist ist?
    Entschuldigen Sie, mein Herr, sagte der Franzose, als Kolonialisten würde ich mich nicht bezeichnen.
    Okay, dann reden wir mal über Algerien. Über Ihre Kultur, über die Schriftsteller, die bei Ihnen etwas zählen.
    An dieser Stelle verabschiedete ich mich von Otto. Ich bot an, ihn nach Hause zu fahren. Aber er war noch nicht so weit, er redete weiter auf den Franzosen ein.
    Ich fuhr zur nächsten Tankstelle, tankte und kaufte eine Packung Erdnüsse. Ich aß und machte mich auf die Suche nach Kunden.
    Linda ist einmal für mehrere Tage verschwunden, ihr Sohn war ganz allein zu Hause. Sie war in einem Crackhaus, die ganze Zeit high. Es war ein Glück, dass sich Otto gerade in dieser Woche vorgenommen hatte, Tammer zu besuchen. Aisha war im Krankenhaus und hatte mehrmals nach ihm gefragt. Als Otto die Wohnung betrat, entdeckte er den hungrigen, völlig verdreckten Jungen, sein Gesicht war mit Rotz und Tränen verklebt. Die Nachbarin streckte den Kopf aus der Tür und sagte, das Kind wimmert seit Tagen, wie ein kleines Hündchen, es hat nichts zu essen. Entsetzt sah sie Otto an und sagte: Ich wollte schon die Polizei rufen. Irgendjemand muss sich ja um das Kind kümmern, wenn die Mutter es nicht schafft. Da muss man doch die Stadt benachrichtigen.
    Alles in Ordnung, sagte Otto, zog die Tür zu und nahm Tammer in den Arm. Ganz oben im Küchenregal fand er eine Dose Spaghetti von Chef Boyardee, er öffnete sie und stellte den Topf auf den Herd.
    Tammer schaufelte sich die Spaghetti in den Mund und sah Otto mit seinem schweren, traurigen Blick an, er wirkte fassungslos und desorientiert. Otto rief Fredao an und schrie in den Hörer, er solle sofort kommen. Als Tammer aufgegessen hatte, steckte Otto ihn in die Wanne, wusch ihn und kämmte ihm die Haare. Er zog ihm einen Schlafanzug an, brachte ihn ins Bett, erzählte eine Gutenachtgeschichte und wartete, bis der Junge einschlief. Dann ging er in die Küche und spülte, und er räumte die ganze Wohnung auf und sammelte die überall herumliegenden Klamotten auf. Als er fertig war, steckte er sich eine Zigarette an und wartete.
    Es klopfte an der Tür, Otto öffnete, packte Fredao am Kragen und drückte ihn an die Wand. Bring das wieder in Ordnung, sagte er.
    Fredao machte sich los und ging nach nebenan, wo er sich mit einem Lächeln als der Vater des Kindes vorstellte. Er erklärte, die Mutter sei in einen Unfall verwickelt gewesen, sie sei im Krankenhaus, er sei zwar gleich losgefahren, um sich um Tammer zu kümmern, sei aber im Verkehr stecken geblieben und hätte zu allem Unglück noch Probleme mit seinem Wagen gehabt. Er hätte lange auf den Abschleppwagen gewartet … Sie wissen schon, sagte Fredao, ein Unglück kommt selten allein.
    Die Frau glaubte ihm kein Wort. Sie betrachtete Fredaos extravaganten Hut und seinen angeberischen Aufzug und

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