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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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gerade gemerkt. Sonst noch etwas?
    Schwer zu sagen. Ich denke viel an meine Kindheit, ich werde dann immer sehr traurig. Was mich nicht loslässt, ist, dass unsere Existenz einer fortwährenden, schleichenden Veränderung unterworfen ist, einem ständigen Wechsel zwischen Freiheit und Verlust.
    Das ist ganz normal. Ab einem bestimmten Alter beginnen wir, Rückschau zu halten. Das sind alles Dinge, über die wir in unserer nächsten Sitzung gern sprechen können, wie gesagt. Sie können draußen einen Termin machen, die Informationen zum Blutbild erhalten Sie dort auch.
    Doktor, haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen?, fragte ich.
    Nein, das glaube ich nicht, antwortete er.
    Ihr Gesicht kommt mir aber bekannt vor.
    Er warf einen Blick auf das Formular, das ich ausgefüllt hatte. Ihren Namen habe ich noch nie gehört. Sind Sie schon einmal wegen einer psychischen Krankheit stationär behandelt worden?
    Nein, noch nicht, sagte ich und lachte in mich hinein, ich habe aber einen Hang zu Freunden und Bekannten, die solche Institutionen in bestimmten Abschnitten ihres Lebens durchlaufen.
    Auch Verwandte?
    Ja, mehr oder weniger.
    Nun, wie wäre es, wenn Sie nächste Woche zu mir ins Krankenhaus kämen? Wir werden dann sehen, was wir weiter für Sie tun können.
    Nächste Woche?, sagte ich. Da muss ich in meinen Kalender sehen, ich melde mich noch einmal. Wenn ich das recht übersehe, bin ich aber nächste Woche im Ausland.
    So, so, sagte der Arzt. Dann warten wir, bis Sie wieder hier sind.
    Der Flug ist lang, sagte ich und lief schon hinaus, aus der Praxis und aus dem Gebäude, um die frische Luft zu atmen in den Straßen unserer Stadt.
    (Noch einmal) Spinnen
    Ich ging ins Café Bolero. Diese Spinnen werden von Tag zu Tag fetter, sagte ich mir. Sie sitzen da und essen diese riesigen, fettigen Portionen, das macht sie laut und führt dazu, dass sie nur knapp in ihre Taxisitze passen. Ich bestellte Kaffee und ging zum lautesten Tisch. Nummer 17 sprach wild gestikulierend über dieses Land und den Unterschied zwischen hier und dort, bis er von Nummer 67 unterbrochen wurde, der sagte: Jetzt hör mir mal zu. Es stimmt, dass es in unserer Heimat keine Demokratie gibt, dafür geht alles schneller, und wenn man die richtigen Leute kennt und wenn man weiß, wie man mit dem Mann redet, der das Sagen hat, dann wird man auch respektiert.
    Ich will dir mal eine Geschichte erzählen, sagte 67. Einmal habe ich am Abend eine Dame mitgenommen, sie sah sehr gut aus. Sie war offenbar sehr reich, ich brachte sie in ein elegantes Wohnviertel. Sie fragte mich, woher ich komme.
    Ich komme aus Tunesien, sagte ich, dem schönsten Land von Afrika. Wir nennen es »Das grüne Tunesien« – wissen Sie, wo unser Land ist?, fragte ich.
    Sie sagte, dass sie sogar einmal dort gewesen sei und dummerweise einem Händler vertraut habe, der ihr im Suq einen Teppich verkauft habe. Erzählen Sie mir, was passiert ist, sagte ich. Sie war in Tunis zum Markt gegangen, um einen schönen Teppich für ihr Haus zu kaufen. Alle Teppichhändler versuchten, sie anzuhalten, und luden sie in ihre Läden ein. Sie warfen ihr die Ware vor die Füße.
    Ein freundlicher, gut gekleideter Mann trat zu ihr, er sprach englisch mit britischem Akzent. Bitte, kommen Sie doch mit, sagte er, nahm ihre Hand und führte sie vollendet höflich in sein Geschäft. Er erzählte ihr, dass er seine Jugend in England verbracht habe, er habe Geschichte studiert, sei jedoch, als der Vater verstarb, in die Heimat zurückgekehrt, um das Familiengeschäft zu übernehmen und für seine Verwandten zu sorgen. Er lud sie ein, sich zu setzen, und servierte Tee und Süßigkeiten, dann zeigte er ihr einige Teppiche. Seine Tochter kam und steckte der Dame eine Blume ins Haar. Seine Helfer legten ihr einen Teppich nach dem anderen vor, bis sie sich für einen roten Perser entschied … Sie heißen Perserteppiche, aber jeder weiß, dass sie in der Türkei hergestellt werden … Wie auch immer, das Problem war, dass sie den Teppich nicht im Flugzeug mitnehmen konnte, er war zu schwer und zu groß. Der Händler erklärte sich bereit, ihn nachzusenden, versichert und mit Garantie, und er zeigte ihr eine Broschüre eines Frachtunternehmens, das auf der ganzen Welt vertreten war, sogar in Japan, denn auch aus Japan kamen viele Kunden, um seine Teppiche zu kaufen … Sie einigten sich darauf, dass die Frau die Hälfte des Preises anzahlen und den Rest bei Lieferung begleichen sollte. Er vertraue seinen

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