Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
Vom Netzwerk:
genau wie die Familie. Seine Frau weinte laut, auch seine Enkelkinder heulten. Es dauerte zwei Minuten, genau zwei Minuten, bis der Händler mit den achthundert Dollar kam. Der Kommandant befahl ihm, der Dame einen Brief zu schreiben und sich zu entschuldigen. Ich sagte zu Mahmud: Wenn er ist, wer er vorgibt, nämlich ein Großkotz aus England, dann soll er den Brief auch auf Englisch schreiben. Er hatte natürlich gelogen, wahrscheinlich konnte er nicht einmal arabisch schreiben.
    Sobald ich zu Hause war, rief ich die Dame an. Sie war so beeindruckt, dass sie mir noch hundert Dollar dazugab. Dreihundert Dollar habe ich mir so verdient, es war ganz leicht.
    Als Nummer 67 seine Geschichte beendet hatte, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und ließ sich bewundern, ich fand das lächerlich, seine ganze Haltung. Ich stellte fest, dass er seinen Teller bis auf einige Krümel leer gefressen hatte. Der Mann bewunderte also Diktatoren und kleine Tyrannen, und jetzt saß er selbstzufrieden da und stocherte in seinen Zähnen.
    Also fixierte ich ihn und sagte: Der einzige Mensch, der in deiner Geschichte eine Entschuldigung schreiben sollte, ist dieser Kommandant, der in eine Bananenrepublik gehört und einem Polizeistaat dient.
    Was meinst du mit Bananenrepublik?, fragte die 67. Hältst du uns für Bananen? Die einzige Banane hier ist doch die, auf der du sitzt. Ein paar von den Spinnen lachten mich aus.
    Ist in Ordnung, sagte ich, die Banane in meinem Arsch stört mich nicht, ich mach sie nur warm für deine unschuldige kleine Schwester. Dabei blieb ich äußerlich ganz ruhig und trank einen Schluck Kaffee.
    Du Arschloch, du schwule Ratte!, schrie er und sprang auf. Ich werd’s dir zeigen, du Wichser!
    Gelassen stand ich auf und verließ das Café. Ich zog mein Schlüsselbund aus der Tasche, steckte mir eine Zigarette an und wartete.
    Als Nummer 67 rauskam, stürzte ich mich auf ihn, packte seinen Kragen und schlug ihm mit dem Schlüsselbund ins Gesicht. Ich traf die Nase, aus der es rot hervorschoss. Zwei Taxifahrer kamen herausgelaufen und hielten mich fest, einer packte meine Kehle, aber ich erwischte seinen Zeigefinger und bog ihn um, bis es knackte. Der Mann stöhnte heftig auf, er war besiegt, sein Griff begann sich zu lockern. Als die anderen sahen, dass ihr schwerster Mann auf dem Bordstein saß und seine Hand hielt, zogen sie sich ebenfalls zurück. Sie verbarrikadierten sich hinter ihren Autos und riefen mir Drohungen zu. Ich ging zu meinem Taxi, doch auf halbem Weg überlegte ich es mir anders. Ich ließ den Wagen stehen und ging zu Fuß. Meine Fingerknöchel und -nägel, die Ärmel, alles war voller Blut. Ziellos lief ich durch die Stadt, bis ich an die Brücke kam. Es regnete in Strömen, ich stieg die Treppe hinauf, betrachtete die Schnellstraße unter mir, den Verkehr, die Autos, die unter mir durchrutschten, Licht und Regen stürzten ineinander, und je nachdem, was gerade überwog, wuchs die Stadt an und zog sich wieder zusammen. Ich stand unter dem Wasser des Meeresgottes, der Wasserbüffel, die auf unsere Erde sabberten, des donnernden Chronos-Sohns, der weinenden Mutter Erde, der unsteten Liebe, die Jahwe seinem Stamm entgegenbrachte, es war das Waschwasser der Gefangenen, die den Atlantik überquerten, es floss aus den tätowierten Händen von Rama, die am Ufer des Flusses die Unberührbaren schrubbten, es rann von den Rücken der schnappenden, spritzenden Krokodile beim Jungfrauenopfer, es war der Regen, der mir das Blut von den Händen wusch und mir die Manschetten wieder weiß machte.
    Ich erreichte die Ostseite der Stadt und stellte mich an einer Bushaltestelle unter. Ich sah den Bussen hinterher, der Regen fiel immer stärker, er war wie ein schwerer Vorhang, ein undurchdringlicher Schleier. Ich trat hinaus, lief durch den Regen, mein Haar war klatschnass, die Kleidung klebte mir an den erigierten Brustwarzen, an der Höhlung meines Bauchs. Die Fahrer, die auf der Schnellstraße vorüberbrausten, sahen wohl nichts als ein graues, entkräftetes, von den Fluten der Verdammnis gebeugtes Gespenst. Doch was wissen schon die Kadaver aus Stahl und Glas, die Ölbrenner, die den schwarzen Regen machen, von der Freude, die das Wasser spendet, von der Schwere durchnässter Körper, von den Fluchten der Wahnsinnigen?
    Sobald es regnete, trommelte der Zirkusdirektor uns Kinder zusammen, wir mussten uns ausziehen und wurden mit Bürsten und Eimern zu den Elefanten geschickt. Während Pferde und Hunde in der

Weitere Kostenlose Bücher