Spinnen füttern
schlammigen Manege tobten, brachten wir Löwen, Affen und Vögel vor den Wolkenbrüchen in Sicherheit. Wir neckten uns wie Äffchen und quietschten wie suhlende Schweine, wir klatschten, bis die Seehunde unter dem grauen Himmel sich zu uns gesellten. Nach dem Regen versammelten wir uns im größten Zelt und entzündeten ein Lagerfeuer, wir tanzten und musizierten vor den leeren Bänken. Doch einmal ging ich stattdessen zwischen den durchnässten Zelten bis zu unserem Wohnwagen durch, um mich umzuziehen. Ich war allein, mein dürrer Knabenkörper zitterte vor Kälte und Glück. Ein paar Minuten später kam meine Mutter herein, mit nassem Haar, ihr Blick war starr und leer, die viel zu dicke Schminke zerlief ihr im Gesicht. Sie sprach mich mit falschem Namen an und lachte laut, als sie mich nackt sah. Du Fliegender, du Fliegender, sagte sie immer wieder, ich will dir zu Diensten sein. Sie zog mich an ihre Brust und küsste meinen Hals und strich mir über die Haut, und als sie meine Erektion in der Hand hielt, streichelte sie mich, bis ich kam. Na also, sagte sie, jetzt kannst du deine Sachen packen und in die Wüste gehen, auf der Suche nach deinem Stein.
Tammer
Gelegentlich, wenn die Ampel auf Rot steht und die Motoren unter den Ärschen der Fahrer im Leerlauf giftige Gase entlassen, landen überraschende Tröpfchen auf der Windschutzscheibe, sie sprühen aus Plastikflaschen in den schmutzigen Händen von Straßenkindern, Kinder, bei deren Anblick man in die Welt hinausschreien, ihre Ungerechtigkeit anprangern möchte. Schweinerei! Am schlimmsten finde ich, dass dabei sauberes Wasser verschwendet wird, das für die Ärmsten der Armen doch lebensnotwendig ist. Und so brülle ich diese Kinder an, ich gebe euch was, ich gebe euch was, aber wehe, ihr behindert mir die Sicht mit eurer Drecksbrühe, in der die Geschichten eurer Fixermütter treiben und eurer Väter, die womöglich eure Väter gar nicht sind.
Am folgenden Abend nahm ich den Bus und fuhr zum Café Bolero, ich ging aber nicht hinein, sondern stieg in meinen Wagen und fuhr durch die Stadt. An einer Ampel kam ein Harlekin angelaufen, er hatte eine Spritzflasche in der Hand, und bevor ich mich noch wehren, bevor ich ihn von seiner Spritznummer abhalten konnte, begann er, laut meinen Namen zu rufen: Fly, hey, Fly, ich bin’s, Tammer! Er kam an mein Fenster und rief seinen Freund, der, ich schwöre es, das schlimmste Insektenkostüm trug, dass ich je gesehen habe.
Tammer, sagte ich, was machst du denn hier auf der Straße?
Leute abziehen, genau wie meine Vorfahren, sagte er und lachte mit seinem Freund.
Steigt ein, sagte ich.
Schon knallten die Türen, sie saßen in meinem Wagen, das leichte Schwingen des Chassis, die kaum merkliche Einbuchtung der Sitzfläche; der Anblick ihrer hohlen Wangen erinnerte mich daran, dass Hunger eine ernste Angelegenheit ist. Keine Maskerade in der Stadt, keine Verkleidung, kein Lachen und keine akrobatische Vorstellung ist in der Lage, die Leere des Magens zu stillen.
Gehen wir was essen, sagte ich.
Die beiden kicherten und klatschten sich ab.
Wir fuhren zu einem Burger-Laden, ich zahlte alles, sie aßen Hamburger und tranken Cola aus Pappeimern, die sie bis zum Rand füllten, und auf die Fritten wollten sie selbstverständlich auch nicht verzichten, zweimal die größte Portion.
Ich fragte mich derweil, welches Insekt Tammers Freund wohl darstellen sollte. Eine Wanze, sagte er. Als ich ihn nach seinem Namen fragte, rief Tammer: Das ist Skippy, die Wanze!, was sie beide sehr lustig fanden. Sie fraßen wie junge Hunde.
Wie geht es deiner Mutter?, fragte ich Tammer.
Er nickte, schüttelte den Kopf, sein Mund war voll. Er schluckte und sagte: Nicht gut.
Arbeitet sie?, fragte ich.
Nein, keine Arbeit.
Und Fredao?
Ist weg, sagte Tammer, sah seinen Freund an und lachte. Wir sind ihn los.
Wie habt ihr das gemacht?
Wir haben ihn gebissen, sagte Skippy, die Wanze. Wieder das Gekicher.
Wo steckt deine Mutter denn jetzt?
Im Krankenhaus, bis sie wieder gesund ist. Fredao hat sie zusammengeschlagen. Tammer schluckte und sagte: Aber das wird er jetzt nie mehr tun.
Verdammtes Arschloch.
Eine Weile saßen wir schweigend da, die beiden beugten sich über ihre weichen Brötchen und aßen.
Hast du das mit dem Mord an dem französischen Journalisten gehört?, fragte ich.
Keine Reaktion. Sie waren noch hungrig, fragten, ob sie Milkshakes haben könnten und noch etwas zu essen.
Wohnst du noch bei deiner Mutter?, fragte ich
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