Spinnenfalle
erfahren? Wir, die Koopmanns? Meine Eltern?
Verwirrt schloss ich die Tür und nahm mir das Telefonbuch vor.
Ewa Tschernowski.
Oder Ewa Cernovsky?
Oder Ewa Schernofsky?
Ich probierte auf einem Zettel mehrere Möglichkeiten der Namensschreibung aus und suchte dann im Telefonbuch.
Fehlanzeige. Nichts unter T, nichts unter C und auch nichts unter S.
Hatte ich mich verhört? Hm. Eher nicht.
Bei »Ewa« kann man sich eigentlich nicht verhören.
Ich ging wieder runter in mein Zimmer und räumte auf.
Doch ständig blitzte dieser Name in meinen Gedanken auf, ständig sah ich die blonde Frau in dem roten T-Shirt und der weißen Jeans und hörte sie sagen: »Sie zahlt Geld oder ich erzähle!«
Wie gern hätte ich gewusst, was diese blonde Frau über Ljuba wusste!
Aber zumindest wusste ich, dass da jemand etwas über Ljuba wusste. Und dass Ljuba irgendeinen Dreck am Stecken hatte. Denn man bezahlt ja nur für ein Schweigen, wenn man nicht will, dass andere etwas erfahren sollen.
Ich legte mich auf den Bauch und schob Pünktchen und Anton in meinen Laptop, um mich wieder zu beruhigen.
Aber als Pünktchen sich als Bettelmädchen verkleidet und Streichhölzer verkaufen will, um für ihren Anton Geld zu bekommen, war es mit meiner Konzentration vorbei.
Wenn Ljuba nun auch etwas Zweifelhaftes tat, um Geld zu verdienen, und diese Ewa darüber Bescheid wusste?
Was konnte das sein?
Vielleicht ging sie gar nicht in die Sprachenschule, sondern … bediente in irgendeiner miesen Kneipe?
Oder sie posierte für Nacktfotos?
Oder sie ging auf den Strich?
Aber sie war ja jeden Abend nur zweieinhalb Stunden weg.
Na gut, da waren ja auch noch die Vormittage. Aber da ging sie einkaufen, kochte und brachte die Küche in Ordnung.
Nein, also selbst in meinen schwärzesten Fantasievorstellungen konnte ich die Sache mit der Prostitution knicken.
Außerdem regte sich in mir bei diesen Überlegungen auch leise Scham, dass ich ihr so was zutraute.
Tat ich nicht.
Tat ich doch.
Verdammt, diese Ziege konfrontierte mich mit meinen schlimmsten Seiten! Ich wollte nicht so schlecht über jemanden denken, nicht mal über sie!
Aber ich war ziemlich am Ende meiner Möglichkeiten angelangt, das war klar.
Ich wollte nicht, dass meine Eltern sich von mir abwandten, weil sie mich für gemein und bösartig hielten.
Ich wollte, dass Ljuba wieder wegging. Dass sie dorthin verschwand, wo sie hergekommen war. Oder woandershin. Bloß weg.
25
E ine Tür schlug zu. Jemand war nach Hause gekommen. Ich sah auf die Uhr.
Meine Mutter. Um diese Zeit kam sie nachmittags heim.
Schritte auf der Treppe. Es klopfte.
»Ja?«, sagte ich und das Herz schlug mir bis zum Hals.
Die Tür ging auf und meine Mutter kam herein. Sie setzte sich auf meine Bettkante, beugte sich vor und nahm mich in die Arme.
Vor lauter Erleichterung fing ich an zu heulen.
Sie drückte mich an sich, ich roch ihr Parfüm, während ich schluchzte und schniefte und sie mich hin und her wiegte wie ein kleines Kind.
Allmählich beruhigte ich mich.
Ich löste mich von ihr, holte eine Packung Taschentücher aus meiner Nachttischschublade und brachte mein Gesicht wieder einigermaßen in Ordnung.
Sie strich mir ein paar Strähnen aus der Stirn und flocht alle Haare zu einem losen Zopf. Dann fasste sie unter mein Kinn und hob mein Gesicht etwas hoch.
»Mein armer Schatz«, sagte sie schließlich.
Das hätte gereicht, um schon wieder einen Tränensturz auszulösen, aber wahrscheinlich war ich leer geheult, denn alles blieb trocken.
Ich versuchte zu lächeln.
»Es tut mir leid«, sagte sie dann. »Es muss für dich aussehen,
als würden wir Ljuba alles glauben und dir nichts. Als hätten wir sie lieber als dich. Als wäre sie uns in den paar Monaten mehr ans Herz gewachsen als du. Das ist mir gestern klar geworden. Deshalb wollte ich dir mal ganz deutlich sagen: Ich habe dich lieb, auch wenn ich manchmal wegen irgendwas sauer auf dich bin. Das ist so selbstverständlich, dass ich nie geglaubt hätte, du könntest daran zweifeln. Papa sieht das genauso. Und das mit der Ohrfeige gestern Abend tut ihm schrecklich leid. Er hat gesagt, du kannst ihm gern auch eine knallen.«
Ich musste kichern. »Der weiß doch genau, dass ich das nie tun würde.«
Sie lächelte und kniff ein Auge zu. »Wer weiß? Jedenfalls hast du eine gut bei ihm.«
»Das will ich dann aber schriftlich! Mit Brief und Siegel und notariell beglaubigt!«
»Tssss«, machte sie und schüttelte den Kopf. »Du kennst
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