Spion Für Deutschland
nichts von dem Kampf, den ich durchstehen mußte, von der
Verzweiflung, die ich auszuhalten hatte. Sie wußte nicht, daß ihre vermeintliche Zukunft bereits meine Vergangenheit war.
Ich stand auf und packte meine Sachen. Ich holte meinen Koffer unter der Couch hervor, auf der sie schlief. Ein Mensch mit leichtem Schlaf würde davon aufwachen. Ich hoffte, daß die entsetzliche Entscheidung, die ich zu treffen hatte, nicht mir al ein überlassen würde.
Aber Joan schlief weiter. Nebelfetzen kamen durch das offene Fenster. Ich schloß es. Wieder war ein winziges Geräusch nicht zu vermeiden. Ich schaffte mein Gepäck auf den Flur. Ein paar Zeilen wenigstens schreibst du ihr, dachte ich mir. Aber ich blieb hart und ging auf die Tür zu. Noch einmal drehte ich mich um . . .
Ich ließ die einfachste Vorsicht außer acht. Mir war al es gleichgültig geworden.
Sowie ich aus Joans Nähe war, war jede Überlegung von mir gewichen.
Ich winkte ein Taxi herbei und fuhr kerzengerade in ein Hotel. Von mir aus mochte die ganze FBI an der Rezeption warten.
Von mir aus mochten sie mich endlich fassen. Wenn nur alles vorbei war!
Ich stel te an der Portierloge meinen Koffer ab. Man brauchte ihn nur zu öffnen, dann hatte man alle Beweisstücke gegen mich. Später kaufte ich mir eine Flasche Whisky und ging mit ihr schlafen. Am nächsten Tag tat ich das gleiche.
Dann war Weihnachten überstanden. Ich vergaß alles, was ich auf der
Agentenschule gelernt hatte, auch in den nächsten Tagen noch. Vielleicht hätte ich nie erreicht, was mir schließlich gelang, wenn ich mich >fachmännisch< verhalten hätte.
Die Nachrichten Browns lieferten mir einen Grundstock. Ich spionierte rücksichtslos weiter. Ich drehte mich nicht ein einziges Mal mehr nach einem möglichen Verfolger um. Es war, wie wenn mir das Leben Scheuklappen um den Kopf gelegt hätte. Ich besuchte Bibliotheken und Zeitungsarchive. Ich sprach in diesen Tagen mit Ingenieuren und Arbeitern. Ich fragte ungeniert.
Das >Manhattan-Projekt< war selbstverständlich ganz vertraulich. Aber kein Land der Welt kann verheimlichen, wenn es Atombomben herstellt. Der Weg des Uranerzes, das vom nördlichen Kanada bezogen wurde — ein Teil kam auch aus Belgisch-Kongo —, ließ sich genau verfolgen.
Zur Kühlung eines Atommeilers benötigt man riesige Wassermengen. Ein Teil des Columbia-Rivers war umgeleitet worden. Mir entging auch nicht, daß in Oak Ridge im Staate Tennessee innerhalb weniger Monate eine sechsstöckige Werkanlage aus dem Boden geschossen war.
Auch der Sache mit den Probeflügen ging ich nach. Zwei verdiente Offiziere waren aus dem Pazifik abkommandiert worden. Sie waren Spezialisten für die B
29, den seinerzeit größten amerikanischen Langstreckenbomber. In Arizona gingen sie jetzt einer scheinbar sinnlosen Beschäftigung nach. Sie flogen eine überschwere Bombenattrappe hin und her. Die Piloten hatten keine Ahnung, welche Bedeutung die Attrappen hatten, als ich al es nach Deutschland meldete.
Ich biß die Zähne zusammen und wurde wieder vorsichtiger. Meine Meldung mußte durchgehen. Viel eicht konnte entsetzliches Unheil verhütet werden, wenn die deutsche Regierung noch rechtzeitig gewarnt wurde. Wenn man meiner Warnung glaubte. Wenn . . .
Ich setzte den Sender zusammen. Es klappte nicht auf Anhieb. Aber es gelang schließlich. Um 17 Uhr nachmittags amerikanischer Zeit war es soweit. Ich formulierte meine Meldung. Sie war zu lang. Ich präzisierte sie noch einmal.
Etwa fünfzig Worte konnte ich einsparen. Ich verschlüsselte den Text. Lernte ihn auswendig. Dann schrieb ich ihn noch einmal nieder und sparte noch einen Satz ein. Acht bis zehn Minuten würde ich brauchen. Ich setzte mich an die Taste.
Ob ich in New York auch angepeilt wurde? Ob man es noch für möglich hielt, daß ein deutscher Spion hier eine Meldung durchgab?
Ich hämmerte auf die Taste. Nach kurzer Zeit erhielt ich Antwort. Ich war jetzt ganz ruhig, war sozusagen wieder in meinem Element. Ich brauchte nicht länger, als ich vorher ausgerechnet hatte. Der Empfang war klar gewesen — ich erhielt die Bestätigung aus dem Äther.
Der erste Teil des Auftrags war erfüllt. Was sie in Berlin über meine Meldung denken würden? Ob man sie, wie andere wichtige Mitteilungen, die man Hitler nicht vorzusetzen wagte, einfach in den Papierkorb werfen würde? Oder ob man ihr nicht traute, ob man der Meinung war, ich würde, vom Pazifismus
angesteckt, plötzlich einfach etwas durchgeben, um mich
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