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Spion Für Deutschland

Spion Für Deutschland

Titel: Spion Für Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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kein System, kein Staat abverlangen kann.
    Ich erkannte das. Damals. In New York. In der größten Stadt der Welt, in der ich fieberhaft gesucht wurde. Am Weihnachtsabend 1944. In den Armen Joans . . .
    »Wirst du bei mir bleiben?« fragte Joan.
    »Ich weiß es nicht«, entgegnete ich.
    »Wirst du mich vergessen?«
    »Nein«, sagte ich, »das weiß ich ganz bestimmt: Vergessen werde ich dich nie.«
    »Es ist eigenartig«, fuhr sie fort, »bei dir weiß man immer schon im voraus, was du sagen wirst.«

    Es war Mitternacht geworden. Im Radio läuteten die Glocken. Dann wurden Choräle gesungen.
    Wir saßen noch enger nebeneinander. Ich war glücklich, daß es so gekommen war. Daß ich Joan in meinen Armen hielt und nicht in Hol and nach britischen Agenten jagte und nicht in Spanien unter einem Haufen Betrunkener auf einem verunreinigten Teppich lag.
    Die Nacht nahm uns in ihre Arme. Eine Uhr tickte. Das Geräusch schmerzte.
    Wenn es doch keine Uhren gäbe! Das Glück, dem ich erlag, wurde immer schmerzlicher, immer bedrückender.
    Joan war eingeschlafen. Sie lächelte. Sie lag ganz still und wandte mir ihr Gesicht zu. Ich hatte die Fenster geöffnet, kühle Luft kam herein. Ich deckte sie zu, damit sie sich nicht erkälten würde.
    Und dann kam der Agent wieder zum Vorschein. Meldete sich unerbittlich. Eine Stunde, zwei Stunden lang bäumte ich mich verzweifelt gegen das auf, was mir das Gewissen einredete. Das Leben hat mir wenig erspart: Ich habe Freunde sterben sehen, und ich spürte die feuchten Hände des Henkers, als er meine Halsweite maß. Ich habe die stil e Verzweiflung in der Zelle erlebt, die Ausweglosigkeit, den entsetzlichen Druck der anonymen Zeit, die das Leben langsam, Tag für Tag, Stunde für Stunde, mordet.
    Das waren alles Situationen, in die ich passiv gestel t wurde, folgerichtig in den Strudel einer Handlung gerissen, der ich nicht ausweichen konnte.
    Jetzt aber mußte ich dieser düsteren Dramaturgie zuvorkommen. Jetzt mußte ich Joan verlassen, die schlafende, lächelnde Joan, die sich auf das Erwachen freute, auf das Erwachen an meiner Seite. Jetzt mußte ich al es, das Glück dieses Abends, die Atmosphäre dieses Festes, die Erkenntnis, hinter mich werfen, meinen Koffer nehmen und gehen. In das kalte New York. In die Stadt im Herzen des Feindes. Ich war ein Feind für die Menschen, die Weihnachten feierten. Ein Spion. Spion für ein Land, das den Krieg bereits verloren hatte.
    Ich mußte Joan wecken. Ich mußte ihr alles erklären. Ich war mir sicher, daß sie mich niemals anzeigen würde. Aber gerade das würde ihr Verderben sein! Man würde sie wegen Begünstigung eines deutschen Spions unter Anklage stellen.
    Das Kriegsgericht kennt keine Liebe. Und kein Erbarmen. Man würde sie hinrichten. Der hektische, gnadenlose Patriotismus, jenes Ungeheuer, das der Krieg mästet, würde ihr keine Chance lassen.
    Nein, das durfte ich nicht tun. Nicht, solange ich noch einen Funken Verstand hatte. Nicht, solange ich Verantwortungsgefühl besaß. Nicht, solange ich sie liebte.
    Sie drehte sich im Schlaf um. Ihr Gesicht sah jetzt noch deutlicher zu mir her.
    Die Beleuchtung reichte aus, um jede Einzelheit erkennen zu lassen. Ich lernte ihre Züge auswendig. Ich würde sie nie mehr wiedersehen! Ich durfte ihr niemals erklären, warum ich heimlich gegangen war. Warum ich ihr weh tun mußte. Sie würde es vielleicht niemals begreifen. Sie würde weinen. Sie würde verbittert sein. Sie würde den Zufall verwünschen, der uns zusammengeführt hatte. Sie würde das Glück hassen, das uns für ein paar Stunden vereint hatte.
    Nein, das brachte ich nicht fertig. Ich ging leise auf sie zu. Ich mußte sie wecken. Ich mußte bleiben. Ich mußte al es riskieren, um unser Glück festzuhalten. Der Krieg war ja schon vorbei. Praktisch war er vorbei. Ich würde ihr gestehen, welche Rolle ich gespielt hatte. Sie würde das verstehen und nicht weiter darüber sprechen. Ich hatte Geld. Ich konnte Spanisch. Ich kannte die Sitten Südamerikas. Ich wußte, wohin man gehen mußte, um nicht aufzufallen.
    Ich wußte, wo mich niemand suchen würde. Sie würde mitgehen. Es waren nur noch zwei, drei Tage durchzustehen, bis die Flucht gelänge, bis wir in Sicherheit waren. Wir konnten getrennt reisen. Für Joan würde das überhaupt kein Risiko sein. Und ich wußte ja, wie man so etwas macht. Wie man über die Grenzen geht, wie man seine Nerven zügelt. Einmal wenigstens im Leben würde mein Job mir gute Dienste leisten.
    Sie ahnte

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