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Spion Für Deutschland

Spion Für Deutschland

Titel: Spion Für Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Tannenbaum.
    »Wir schmücken ihn europäisch«, sagte sie. »So gefällt er mir besser. Mein erstes Weihnachten nach dem Krieg will ich in Europa verbringen.«
    »Das Beste auf der Welt sind die Pläne«, erwiderte ich.
    »Ich glaube an ihre Erfüllung.« Sie drehte sich zu mir um und lachte. »Du bist ein alter Pessimist. Du hast wohl nicht die schönsten Jahre hinter dir?«
    »Nein«, sagte ich.
    Wir waren mit dem Christbaum fertig. Das Radio spielte leise, sanft, einschmeichelnd. Es war, als ob die Atmosphäre des Friedensfestes unsichtbar aus dem Kasten schlüpfte und uns immer mehr in ihre Arme nahm. Wir saßen beieinander und sprachen wenig.
    Was Weihnachten ist und wie man es begeht, das steht in keiner Agentenfibel der ganzen Welt. Vor einem Jahr war ich in Spanien. Es gab gut zu essen. Als die Leute zur Mette gingen, lagen wir kreuz und quer auf den Teppichen. Als die Leute am Morgen sich zum Weihnachtsgottesdienst rüsteten, bekämpften wir unsere Kopfschmerzen weiter mit Alkohol.
    Vor zwei Jahren war ich in Holland. Einen Tag zuvor waren zwei deutsche Agenten erschossen worden. Zwei Tage später schlief ein englischer Agent im Sarg, statt im Bett.
    Weihnachten, was war das? Das Flackern der Kerzen, der sanfte, milde Duft eines angebrannten Tannenzweiges, die aufgeregte, überschäumende Freude der Kinder.
    Ich saß hier neben Joan unter dem Baum, und etwas kroch mir den Rücken hoch, schnürte mir den Hals zusammen. Etwas sagte mir: Weihnachten für al e, nur nicht für dich.
    Immer schneller, immer heftiger blendete meine Erinnerung
    zurück, übersprang Jahre, Jahrzehnte. Ich sah meinen Vater, meine Mutter, meinen Lehrer vor mir. Einmal hatte ich diese Beklemmung schon erlebt, als ich acht oder neun Jahre alt war: Der Vater meines Freundes hatte sich am Morgen des Weihnachtsabend erschossen. Er war Kassierer einer Bank gewesen, und es hatten 12000 Mark gefehlt. Damals schon hatte mich die Festfreude
    ausgeschlossen, wie jetzt, wie heute, wie neben Joan.
    Ich trank zwei Gläser Whisky leer. Joan nahm mir lächelnd die Flasche weg.
    »Nicht vor dem Essen«, sagte sie.
    Wir gingen in die Küche und sahen nach. Es war alles in Ordnung. Wir überließen den Truthahn sich selbst und beschäftigten uns mit uns.
    Und dann kamen Nachrichten. Nicht einmal heute ließen sie uns in Ruhe. Die Ardennenoffensive war gescheitert. Endgültig. Ob es Propaganda ist, fragte ich mich?
    Ob die >Abteilung für psychologische Kriegführung< den Angriff schneller abgefangen hat als General Eisenhower?
    Ich war der letzte Narr auf verlorenem Posten!

    Heute wäre ein guter Tag zum Senden, sagte ich mir. Mein Gerät war ja längst fertig, auseinandergenommen in einem Koffer, der unter einer Couch desselben Zimmers lag, in dem unser Weihnachtsbaum stand. Kein Mensch würde heute dem Funkverkehr übertriebene Aufmerksamkeit schenken. Aber meine
    Meldungen waren ja noch gar nicht soweit. Was ich von Brown erfahren hatte, mußte erst noch überprüft und weiterverfolgt werden. Es würden mir harte Tage und Wochen bevorstehen . . . Wenn nur Bil y noch nicht gefaßt war! Wo er stecken mochte?
    »Du siehst aus wie ein General nach verlorener Schlacht«, lachte Joan.
    »Hast du schon einmal einen General gesehen?« fragte ich.
    »Nur auf der Leinwand«, entgegnete sie lachend. »Aber da siegen sie immer.«
    »Aber dafür sind sie im Kino auch viel sympathischer«, antwortete ich.
    Wir holten den Truthahn aus der Bratröhre, tranchierten ihn und servierten ihn uns selbst. Er war vorbildlich weich und knusprig. Wir saßen gegenüber, lächelten uns an, aßen mit Genuß, prosteten uns zu, gingen ab und zu an das Radio und drehten. Wir tranken — Rheinwein. Es gab ihn noch in New York.
    »Paßt gut zum Essen«, sagte ich.
    »Ja«, erwiderte Joan. »Jeder amerikanische Soldat erhält heute von der Armee einen Truthahn geschenkt«, erklärte sie.
    »Ja«, antwortete ich, »und 300 000 Turkeys bleiben übrig. So viele Soldaten hat bis jetzt der Krieg gekostet.«
    »300000 amerikanische«, erwiderte sie, »und wie viele englische, französische, deutsche und italienische?«
    »Suchen wir uns ein anderes Thema.«
    Joan stand auf, machte ein paar Schritte im Zimmer, drehte die
    Deckenbeleuchtung aus und schaltete die indirekte Wandlampe ein.

    »Zwei von den GIs, die keinen Turkey mehr bekommen, kannte ich sehr gut«, sagte sie, »der eine war mein Bruder.«
    Ich nickte. Auf einmal war der Zauber, die Stimmung, das Gefühl der
    Geborgenheit

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