Spion Für Deutschland
darf. Wir spielten auf der Straße Fußbal . Ich schoß ein Tor. Der Ball landete genau im Schaufenster einer Konditorei. Zwischen den Glasscherben angelte ich blitzschnell meinen Ball, dann jagte mir die Konditormeisterin mit dem Besenstiel nach.
Ich kam mit zwei Stunden Verspätung nach Hause. Ich ahnte nichts Gutes. Als ich ankam, hatte mein Vater den Schaden bereits bezahlt.
»Du hast wohl Angst?« fragte er mich.
»Ja«, gestand ich kleinlaut.
»Das ist Unsinn«, fuhr mein Vater fort, »glaubst du etwa, daß ich in meiner Jugend nichts angestellt habe?«
Was er jetzt machte? Ob er an mich dachte? Er hatte mich nie gefragt, für wen ich arbeitete.
»Ich will es gar nicht wissen«, hatte er einmal zu mir gesagt. »Du wirst schon wissen, was du tust. Ich habe nur einen Wunsch: Ich will dich nach dem Krieg gesund wiederhaben.«
Nach dem Krieg! Nach dem Krieg! Es gab kein Danach . . .
Jonny, mein Bewacher, kam. Er schob mir eine brennende Zigarette durch die Drahtmaschen.
»Schnell«, sagte er, »bei dir weiß man ja nie, wer zu Besuch kommt. Edward«, rief er mich nach einer Weile — alle nannten mich bei meinem fingierten Vornamen —, »es ist gar nicht so schlimm, wie du es dir ausmalst.«
»Sicherlich nicht«, erwiderte ich.
»Ich habe neulich ein Buch gelesen«, fuhr Jonny fort, »ein Schulmeister hat es geschrieben. Es handelt vom amerikanischen Unabhängigkeitskrieg.«
»Interessant«, entgegnete ich.
»Paß nur auf«, sagte Jonny, »ein Mann war zum Tode verurteilt worden. Sie haben ihn an einem Baum aufgehängt. Wie er schon gebaumelt hat, ist die Begnadigung gekommen. Man hat ihn wieder vom Strick geschnitten.«
»Meinst du, daß sie es bei mir auch so machen?«
»Das ist unwahrscheinlich«, antwortete Jonny, »nein, ich erzähle die Sache aus einem ganz anderen Grund: der Mann hat nämlich hinterher ein Buch
geschrieben, wie es einem zumute ist, wenn man aufgehängt wird. Er hat geschrieben, daß man zuerst fürchterliche Angst aussteht und dann plötzlich gar nichts mehr spürt. Daß plötzlich alles weich und sanft und leicht wird, daß man das Gefühl hat, schon in einer anderen Welt zu sein, und daß die letzten Sekunden viel schöner sind, als man denkt . . . Nur dann«, fuhr Jonny fort, »als man ihn abgeschnitten hatte und Wiederbelebungsversuche machte, hat der Mann furchtbare Schmerzen ausgestanden.«
Ich versuchte, nicht mehr hinzuhören. Jonny war dumm, harmlos und gutmütig.
Er wol te mich beständig trösten. Aber sein Trost war fürchterlich. Er hatte ein offenes, junges Gesicht. Ein Finger an der linken Hand war gelähmt. Das hatte ihm den Job in Fort Jay verschafft. Er schrieb an alle Verwandten und Bekannten Briefe, in denen von mir die Rede war. Ich war das Abenteuer seines Lebens.
Aber dieses Abenteuer endete in sechsundneunzig Stunden.
Ich wurde verrückt, wenn ich daran dachte.
Ein Sergeant betrat meine Zelle. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Es war ein schmächtiger Bursche mit einem Spitzmausgesicht und einer Nonchalance in der Uniform, die man getrost als Schlamperei bezeichnen konnte. Er gab mir die Hand und sah dabei zum Fenster hinaus. Er hatte kleine, dunkle Augen, die nicht stillstehen konnten. Der Mann reichte mir vielleicht bis zur Schulter.
»Fehlt Ihnen etwas, Mr. Gimpel?« fragte er.
»Nein«, erwiderte ich.
»Essen gut.«
»Ja.«
»Zigarette?«
»Ja.«
Ich nahm sie. Der Mann betrachtete mich von der Seite. Sachlich, abschätzend, lauernd. Ich machte ein paar schnel e Züge. Jetzt sollte er doch endlich zum Teufel gehen, dachte ich mir. Er hatte mich gesehen, er hatte mit mir gesprochen, er konnte jetzt seiner Freundin die Ansichtskarte schreiben.
Er blieb, ging um mich herum. Wenn ich die Augen von ihm ließ, war der lauernde Seitenblick wieder da. Ich spürte instinktiv, daß der Mann etwas von mir wollte. Etwas Unheimliches, etwas Entsetzliches, etwas Grauenhaftes.
»Leider darf ich Ihnen nichts zum Lesen geben«, sagte er. »Strenge Vorschrift.
Höchstens die Bibel.«
»Die habe ich bereits.«
»So long«, sagte er, gab mir die Hand, sah wieder weg und ging.
»He«, rief Jonny, »weißt du, wer das war?«
»Natürlich nicht.«
Jonny war ganz aufgeregt.
»Das war der Henker«, sagte er. »Er ist gekommen und hat dabei deine Maße und dein Gewicht abgeschätzt, damit er weiß, wie er seine Sache machen muß.
Er hat Maß genommen. Hast du es nicht gemerkt? Weißt du übrigens, daß bei uns jeder seinen eigenen Strick bekommt? Da
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