Spion Für Deutschland
meine Gedanken. Aber ich konnte nicht verhindern, daß sie immer wieder zu der düsteren Szene im Morgengrauen abglitten, daß ich immer wieder an das Unfaßbare denken mußte. Vor Jahren hatte ich einen Film um >Mata Hari< gesehen. Eine sentimentale Schnulze mit tragischem Ende. Al es hatte geschluchzt im Kino. Ich hatte gelacht. Ich glaube, Margarete saß neben mir. Auch sie hatte feuchte Augen. Die Spionin trug ein dunkles Kleid. Sie hatte ein Gesicht, das ganz der Tragik einer Hinrichtung angepaßt war. Sie trug ein silbernes Kreuz um den Hals. Sie küßte es und schenkte es ihrer Wärterin. Die Wärterin weinte. Ein Soldat im Stahlhelm trat ein.
In seinem Gesicht zuckte es. Es war ein junger französischer Leutnant.
»Es ist meine Pflicht, Madame«, sagte er.
Wer sich bis dahin zurückgehalten hatte, weinte jetzt endgültig. Nur ich lachte lauter. Die Stimme des Leutnants klang belegt.
»Ich verstehe nicht, warum man sie überhaupt hinrichtet, wenn sie so edel ist«, sagte ich zu meiner Begleiterin. Eine Frau hinter mir rief aufgebracht:
»Ruhe!«
Mata Hari wurde über einen endlos langen Gang geführt. Man sah sie von vorn, von hinten, von der Seite. Vorwiegend sah man ihr Gesicht. Es sah von allen Seiten gleich schön aus. Und edel. Und traurig. Und verloren.
Dann war der Gang endlich zu Ende. Es ging hinaus ins Freie. Dichter Nebel.
Eine Gruppe von Soldaten tauchte plötzlich auf. Alle trugen sie offen ihre Leichenbittermiene zur Schau. Kunststück, dachte ich mir, Soldaten tun sonst mit einer schönen Frau alles andere lieber, als sie hinzurichten — da krachte schon die Salve, und Mata Hari starb langsam und fotogen.
Wie würde ich sterben? Würde ich schreien? Würde ich mich loszureißen versuchen? Würde ich um Hilfe brüllen? Was blieb über von der fotogenen, männlichen Todesverachtung, wenn einem der Henker so dicht auf den Fersen war?
»He,. Edward«, rief Jonny, »bist du für den Pfarrer zu sprechen?«
»Nein«, erwiderte ich.
»Sei nicht so dumm«, sagte er, »er ist ein feiner Hund. Ich kann ihn dir nur empfehlen.«
Der Geistliche trug die Uniform eines Captains. Er war groß und schlank, hatte breite Schultern. Er vereinte die Figur eines Basebal spielers mit der Noblesse eines Herrenreiters. Und er wirkte nicht eine Spur fromm. Deshalb war er mir von der ersten Sekunde an so sympathisch.
»Eine fürchterliche Sache ist das mit Ihnen«, begann er. Er ging auf und ab. »Wir können ganz offen darüber sprechen: Es ist leichter vom Sterben zu reden als zu sterben. Deshalb sind Sie mir gegenüber von vornherein in der Vorhand.«
»Gut gesagt, Captain«, entgegnete ich.
Er lächelte.
»Captain bin ich nur im Nebenberuf«, sagte er, »Sie wissen ja, ich bin Pfarrer.
Ich bin nur getarnt in der Uniform.«
»Sie brauchen sich nicht zu tarnen«, erwiderte ich.
Wir gaben uns die Hand. Zum erstenmal seit Tagen wich die
Beklemmung von mir. Zum erstenmal vergaß ich, was mir bevorstand.
»Ich will Ihnen nicht auf die Nerven gehen«, sagte der Geistliche. »Seien Sie unbesorgt, ich halte Ihnen auch keine Predigt. Leider ist alles, was kommt, Ihre Sache. Sie müssen damit fertig werden. Ich wollte, ich könnte Ihnen dabei ein wenig helfen.« Er betrachtete seine Fingernägel. »Ich habe leicht reden, nicht?«
»Aber Sie reden gut, Captain.«
Wir sprachen jetzt über Baseball und Kriminalfilme. Nach einer Stunde wollte er gehen, aber ich bat ihn, zu bleiben.
Der Soldat aus der Küche brachte das Mittagessen.
»Noch eine Portion, bitte«, bestellte ich lächelnd.
»Na, endlich wird er vernünftig«, entgegnete er.
Wir aßen gemeinsam. Der Pfarrer sagte mir, wie er hieß und wo er herkam. Er war tatsächlich auf der Universität Baseballspieler und hatte innerhalb eines Studententeams einen Namen gehabt. Er wollte Maschinenbauingenieur werden.
»Und warum sind Sie Geistlicher geworden?«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte er, »und Sie würden sie viel eicht gar nicht verstehen. Ich war nämlich nicht gerade ein Freund der Kirche gewesen.«
»Und?«
»Dann bin es eben doch geworden. Meine kleine Schwester ist gestorben. Was soll ich Ihnen sagen: Ich habe sie über alles geliebt. Ich hatte mein Col ege geschwänzt und war mit ihr spazierengegangen . . . Sie war mit fünf Jahren schon eine richtige, kleine Lady gewesen. Sie hatte soviel Charme gehabt. Na, was soll ich Ihnen sagen — Sie können es sich nicht vorstel en.«
»Und dann?«
»Dann wurde sie von einem Lastauto
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