Spion Für Deutschland
allem ist der Krieg.
Und al e, die in seinen Diensten stehen, sind auch seine Opfer. Ich bin eine Frau. Als Frau kennt man einen Mann viel besser, als Männer ihn kennen können. Und ich muß Ihnen deshalb etwas sagen.«
Sie unterbrach sich wiederum. Das Sprechen fiel ihr jetzt schwer. Sie schluckte.
Niemand außer Reagin baute ihr eine Brücke. Aber es schien, als ob sie keine brauchte.
Ich konnte meinen Blick nicht von ihr wenden. Bisher war ich der Verhandlung mit stumpfem Gleichmut gefolgt. Ich fieberte. Es kroch an mir hoch, der Schmerz, die Erregung, das Würgen im Halse. Ich hätte hinausbrüllen mögen, hinausschreien: Laßt sie in Ruhe! Sagt, daß sie schweigen sol ! Das ist unsere Sache. Unsere Sache ganz allein. Es geht nur uns beide an, und niemand hat sich darum zu kümmern, nicht das Gericht, nicht die Verteidigung, nicht die Anklage! Hängt mich auf! Hängt mich, aber laßt sie in Frieden!
Ich vergaß Zeit und Raum. Ich sah nichts und hörte nichts mehr. Al es drehte sich vor meinen Augen. Immer schneller, immer lauter, immer sinnloser. Ein Karussel war plötzlich da, mit Figuren, die menschliche Gesichter bekamen, höhnische, freche, feige, unverschämte.
Und in der Mitte stand Joan, und al es tanzte um sie herum, und alles wol te nach ihr greifen, und alles wollte sie in den Schmutz ziehen. Und sie lächelte, und sie sah durch das Karussel hindurch, mir genau in das Gesicht. Und ich stand wieder neben ihr, wie damals in der Weihnachtsnacht . . .
Wir hatten das Fenster geöffnet, weil es im Zimmer zu warm war. Wir waren ganz dicht beieinander. Ich hatte meinen Arm um sie gelegt. Die neblige Nachtluft kühlte unsere Gesichter. Wir standen nebeneinander und sprachen kein Wort. Was wir uns zu sagen hatten, wußten wir bereits.
Ich zog sie noch enger an mich. Wir küßten uns. Es wurde immer wärmer, immer schöner. Alles versank, die Zeit, der Krieg, die Angst. Die Zukunft und die Vergangenheit vermengten sich zur Gegenwart, zu der einen Stunde, die uns gehörte, die uns für immer gehören sollte, die niemand etwas angeht, keine Macht der Welt, keinen Staat, kein Land, keinen Krieg, kein Gericht.
»Es ist so, als ob ich dich seit langem kennen würde«, sagte Joan. »Ich habe immer auf dich gewartet. Immer nur auf dich, und ich habe schon lange gewußt, wie du aussehen wirst.«
Und ich vergaß alles. Ich sah ihr in die Augen. Wir küßten uns. Aber das Glück schmerzte . . . Und dann kam die Nacht, der Morgen, die Flucht. Und dann biß ich die Zähne aufeinander. Dann war al es vorbei. Joan zuliebe, die mich hassen würde.
Aber sie haßte mich nicht. Sie verstand alles. Sie verstand das Unbegreifliche.
Sie wußte, warum ich sie verlassen hatte. Hätte ich sie doch nicht verlassen, wäre ich doch mit ihr geflohen, irgendwohin in das Glück, das keine Grenzen, keine Tränen, keine Kriege kennt! Hätte ich doch alles hinter mich geworfen, ich Narr . . .
»Der Angeklagte ist ein Mensch«, sagte Joan leise. »Er fühlt so, er denkt so, er handelt so . . . Ich weiß nicht, als was man ihn hier hingestel t hat . . . Aber ich muß sagen, bestätigen: Wenn dieser Mann etwas getan hat, was verurteilt werden muß, so denken Sie bitte daran, daß Sie über keinen Unmenschen zu Gericht sitzen. Und daß eine Frau ihn liebt, die Bürgerin dieses Landes ist.«
Es war still im Raum. Niemand sagte ein Wort. Aller Augen hingen an Joan, an ihrem lieben Gesicht, an ihren Haaren, an ihrer zierlichen Figur, an ihrem geschickt geschnittenen Pelzmantel.
»Eine Frage?« wandte sich der Vorsitzende an Major Carry.
»Ich verzichte«, entgegnete der Ankläger.
»Wünscht die Verteidigung noch etwas zu wissen?« fragte der Colonel weiter.
»Verzichte ebenfal s«, entgegnete Reagin schnell.
Er sah sich im Saal um. Niemand hatte sich der Wirkung von Joans Aussage entzogen, obwohl Joan nichts auszusagen hatte. Das Gefühl spielt in der amerikanischen Rechtssprechung eine beträchtliche Rol e. Die Toten der Cornwallis wurden gegen die Liebe einer jungen Amerikanerin kompensiert.
»Sie sind entlassen«, sagte der Vorsitzende zu Joan.
Sie zögerte eine Sekunde. Sie drehte sich noch einmal nach mir um. Wir sahen uns an. Wir preßten die Lippen aufeinander. Sie faßte ihre Handtasche fester unter den Arm, ging auf die Tür zu, Schritt für Schritt, ganz ruhig, ganz selbstsicher, ganz alltäglich. Mit jedem ihrer Schritte schmerzte die Entfernung mehr. Al es war noch einmal aufgerissen, noch einmal hatte das vor mir
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