Spione kuesst man nicht
Licht erscheinen. Er knallte je einen Sack auf die drei Tische. Dann warf er eine Schachtel mit Handschuhen in unsere Richtung.
»Spionage ist ein schmutziges Geschäft, meine Damen.« Er klatschte in die Hände, als ob er den Staub seines bisherigen Lebens abstreifen wollte. »Die meisten Dinge, über die keiner Bescheid wissen soll, werden mit dem wöchentlichen Müll entsorgt.« Er fummelte am Knoten eines Sackes herum. »Wofür geben die Leute ihr Geld aus? Wo und was essen sie? Welche Pillen schlucken sie? Wie sehr lieben sie ihre Haustiere?«
Er packte die Zipfel am Boden des Plastiksacks und schleuderte ihn mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung wie ein Zauberer auf einer Geburtstagsparty oder ein Henker herum. Abfall flog in alle Richtungen, riss sich los und bedeckte jeden Zentimeter des langen Tisches. Der Gestank war überwältigend, und zum zweiten Mal in zwei Wochen dachte ich, ich müsste mich in diesem Klassenzimmer übergeben, aber nicht Joe Solomon – der beugte sich über den Dreck und befingerte ihn.
»Handelt es sich hier um eine Person, die Kreuzworträtselmit einem Kugelschreiber löst?« Er ließ das Stück Papier fallen und zog einen alten Umschlag heraus, an dem Eierschalen klebten. »Was kritzelt sie beim Telefonieren?« Schließlich langte er noch tiefer in den Abfallhaufen und fand ein altes Heftpflaster. Er hielt es ans Licht und sah sich den Halbkreis aus getrocknetem Blut, der das Viereck aus Gaze verfärbt hatte, genauer an. »Alles, was ein Mensch berührt, verrät uns etwas – es sind Teile des Puzzles seines Lebens.« Er ließ das Pflaster auf den Haufen fallen und klatschte wieder in die Hände.
»Willkommen in der Wissenschaft der Müllologie«, sagte er grinsend.
Am Donnerstagmorgen regnete es. Den ganzen Tag lang schien aus den Steinmauern Feuchtigkeit zu sickern. Die schweren Wandteppiche und Kamine waren dem Kampf gegen die Kälte offenbar nicht gewachsen. Liz, Bex und ich mussten Dr. Fibs am Montag nach der Schule helfen und deshalb die Fahrstunden mit Tina, Courtney und Eva tauschen. So kam es, dass wir nicht an einem sonnigen Herbstnachmittag, sondern unter einem Himmel fahren würden, der zu meiner Stimmung passte. Ich wartete auf Bex und Liz an der Fenstertür, die zum Säulengang führte. Ich malte meine Initialen auf die feuchte Scheibe, doch die Buchstaben zerflossen und perlten am Glas ab.
Aber nicht jeder fühlte sich so trostlos, wie der Tag aussah. Als Liz neben mir auftauchte, schrie sie: »Wahnsinn! Einfach toll, dass wir heute die Scheibenwischer benutzen dürfen!« Wenn man schon mit neun Jahren einen Artikel in der wissenschaftlichen Zeitschrift Scientific American veröffentlichen kann, hat man wahrscheinlich eine etwas merkwürdige Vorstellung von Spaß.
Unsere Füße platschten auf dem nassen Gras, als wir den Rasen überquerten, um zu Madame Dabney zu gelangen, die im Auto auf uns wartete. Die Scheinwerfer durchbohrten den grauen Tag, und die Scheibenwischer schrubbten energisch hin und her.
Eine Viertelstunde später sagte Madame Dabney: »Rebecca, meine Liebe, vielleicht sollten Sie –« Ihre Stimme erstarb jedoch, als Bex schon wieder um eine Ecke bog und auf der falschen Straßenseite landete. Eigentlich hätte man von einer Spionin erwartet, dass sie auf die Notbremse tritt und Bex mit einem gekonnten Hieb auf den Hinterkopf bewusstlos schlägt, aber Madame Dabney sagte nur: »Ja, hier rechts, Liebes … oje …«
»Sorry!«, brüllte Bex vermutlich dem Lastwagenfahrer zu, den sie geschnitten hatte. »Anscheinend vergess ich immer wieder, dass die da drüben sind.«
Der Regen hatte nachgelassen, aber die Reifen machten immer noch ein nasses, glitschiges Geräusch, während sie Wasser in den Unterbau des Wagens spritzten. Die Fenster waren vernebelt, und ich konnte nicht sehen, wo wir hinfuhren, was ein Segen war, weil jedes Mal, wenn ich einen Blick auf die Außenwelt werfen wollte, ein weiteres Jahr meines Lebens vor meinen Augen vorbeizog.
»Vielleicht sollten wir jetzt eine andere ans Steuer lassen?«, brachte Madame Dabney mühsam heraus, als Bex um ein Haar in einen Betonmischer raste, das Lenkrad herumriss, über den Bordstein fuhr, die Ecke eines Parkplatzes mitnahm und auf eine andere Straße flog.
In diesem Moment fiel mir etwas Seltsames auf. Nicht nur, dass Bex den verzweifelten Schreien von Madame Dabneyund den Gesetzen, die für den Betrieb von Kraftfahrzeugen in diesem Land gelten, keine Beachtung schenkte, sondern
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