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Spione kuesst man nicht

Spione kuesst man nicht

Titel: Spione kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Carter
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Morgan adressiert war. Wir wurden nie zu Partys eingeladen. Ich erinnere mich zwar an Tage, an denen Mom und Dad sich schick angezogen und mich bei einem Babysitter zu Hause gelassen hatten, trotzdem wusste ich damals schon, dass in Moms Strassbrosche eine winzige Kamera steckte und dass Dads Manschettenknöpfe Kabel enthielten, die fünfzig Meter weit herausschießen und einen Menschen auf Wunsch an der Fassade eines Gebäudes herablassen konnten. (Eigentlich kein Wunder, dass wir so selten eingeladen wurden.)
    Ich fing gerade an, mir vorzustellen, wie es wäre, die andere Familie zu sein, als ich ein Unheil verkündendes »Oje« vernahm.
    Ich drehte mich zu Liz, die Bex ein Stück Papier entgegenstreckte.
    Sie muss es zuerst Bex zeigen, dachte ich erschrocken. Josh hat nur noch sechs Monate zu leben! Er nimmt Medikamente, die ihn auf eine Geschlechtsumwandlung vorbereiten! Die ganze Familie zieht nach Alaska!
    Es war schlimmer.
    »Cam«, sagte Bex. Ihre Stimme wappnete mich für das Schlimmste. »Liz hat was gefunden, das du wahrscheinlich lesen solltest.«
    »Es ist sicher nichts«, sagte Liz und lächelte gezwungen, während Bex mir ein gefaltetes Stück rosa Papier hinhielt. Jemand hatte mit blauer Tinte ziemlich verschnörkelt »JOSH« geschrieben. So eine Schnörkelschrift schien keine an der Gallagher Akademie zu meistern. Wenn man jeden Abend Hausaufgaben in organischer Chemie, Verschlüsselung für Fortgeschrittene und Umgangs-Swahili zu erledigen hat, verbringtman natürlich nicht viel Zeit damit, zu lernen, wie man ein I mit einem Herzchen verziert.
    »Lies vor!«, sagte ich.
    »Nein«, erwiderte Liz. »Es ist wahrscheinlich –«
    »Liz!«
    Aber Bex hatte schon angefangen. »Lieber Josh. Es war super, dich auf dem Jahrmarkt zu sehen. Ich hatte auch Spaß. Das sollten wir irgendwann einmal wiederholen. Alles Liebe, DeeDee.«
    Bex hatte ihr Bestes getan, den Brief so belanglos wie möglich klingen zu lassen. Sie hatte viele unnötige Pausen eingelegt und ziemlich tonlos gesprochen, aber es ließ sich nicht leugnen – diese DeeDee meinte es ernst. Schließlich schrieb ich keine Briefchen mit schnörkeliger Schrift auf rosa Papier. Ich hatte gar kein rosa Papier. Essbares Papier ja, aber hübsches rosa Papier – auf keinen Fall! Hier hatten wir jetzt also den Beweis – schwarz auf weiß (oder besser gesagt: blau auf rosa) –, dass ich nicht mithalten konnte. Dass ich tatsächlich niemand war.
    Liz hatte meine Miene gesehen und verstanden, was in mir vorging, weil es sofort aus ihr heraussprudelte: »Das bedeutet nichts, Cam! Es lag im Müll!« Sie wandte sich an Bex. »Das bedeutet doch was, oder?«
    Da konnte ich sie nicht länger ignorieren, die allbekannte Wahrheit, dass wir trotz unserer elitären Ausbildung und genialen IQs von Jungs einfach überhaupt nichts verstanden. DeeDee mit ihrem rosa Papier und ihrem Talent, große, aufgeblasene Js zu malen, wusste wahrscheinlich, was es bedeutete, wenn ein Junge wie Josh ihr perfektes rosa Briefchen in den Müll warf, aber wir hatten keine Ahnung. Der Junge meinerTräume konnte so nah wie die Stadt Roseville sein – nur drei Kilometer, achtzig Überwachungskameras und eine hupende Mauer von mir entfernt –, aber er und ich würden niemals die gleiche Sprache sprechen, weil meine Schule nie versucht hat, mir »Jungs« beizubringen, die einzige Sprache, die uns vorenthalten wurde.
    »Schon okay, Liz«, sagte ich leise. »Wir wussten, dass es ein Schuss ins Blaue war. Es ist –«
    »Warte!« Bex umklammerte mein Handgelenk. »Erzähl mir noch mal, was du zu ihm gesagt hast!« Ich schaute sie verständnislos an. »An dem Abend?«, soufflierte sie. »Als du ihm erzählt hast, dass du zu Hause unterrichtet wirst?«
    »Er hat gefragt, ob ich zu Hause unterrichtet werde, und ich hab Ja gesagt.«
    »Und mit welcher Begründung?«
    »Aus –«, begann ich, aber meine Stimme verstummte, als ich den Papierstapel ansah, den sie zwischen uns aufgebaut hatte, »religiösen Gründen.«
    Auf dem Papierhaufen lagen ein Programm der Baptistengemeinde, eine Broschüre der Methodisten von Roseville und eine Handvoll Zettel diverser Kirchen. Entweder sammelte Josh solche Mitteilungen für irgendeine komische Schnitzeljagd, oder er ging immer brav zum Gottesdienst oder zu Jugendtreffen der Gemeinden.
    »Er sucht dich, Cam«, sagte Bex und strahlte, als wäre sie gerade dabei, den Code aller Codes zu knacken.
    Es wurde still. Mein Herz pochte in meiner Brust. Bex und

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