Spione kuesst man nicht
geklappt hatte. Ich blieb auf meinem Ast, während die letzten Blätter des Sommers an mir vorbeischwankten.
»Duchess«, flüsterte ich und betete, dass Bex antworten möge – oder noch besser: mir auf die Schulter klopfen und mich tadeln würde, weil ich so wenig Vertrauen hatte. »Bex, du darfst jeden Decknamen benutzen, den du willst, aber antworte mir!«, wisperte ich im Dunkeln.
Josh überquerte die Veranda.
Josh öffnete die Tür.
»Wenn ihr mich hören könnt – versteckt euch einfach, okay? Die Zielperson betritt das Haus. Ich wiederhole. Die Zielperson betritt das Haus.«
Hinter ihm schloss sich die Tür, also sprang ich vom Baum und lief schnell zu den Büschen, wobei ich die Haustür im Auge behielt, was in der Theorie zwar großartig klingt, aberbedeutet, dass ich nicht sah, wie Liz und Bex aus einem Fenster im zweiten Stock kletterten und sich aufs Dach flüchteten.
»Chamäleon!«, rief Bex durch die Dunkelheit und erschreckte mich fast zu Tode, als ich mit dem Kopf voran ins Gebüsch tauchte und dann hinaufspähte, wo Bex über die Dachrinne des Hauses guckte.
Sie hatten wahrscheinlich geglaubt, dass Josh für den Rest der Nacht zu Hause bleiben würde, denn sie befestigten Kabel zum Abseilen am Schornstein und wollten schon vom Dach springen, als Josh plötzlich aus der Haustür kam.
Ich beobachtete alles aus dem Gebüsch – vor Schreck erstarrt –, als mir klar wurde, dass meine besten Freundinnen zum Sprung auf den niedlichsten Jungen, den ich je gesehen hatte, und den Apfelkuchen, den er in den Händen hielt, ansetzten.
Sie konnten ihn nicht sehen. Er konnte sie nicht sehen. Aber ich konnte alles sehen.
Er machte einen Schritt. Sie machten einen Schritt.
Wir waren Sekunden von einer Katastrophe entfernt, und ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, was ich tun sollte, als plötzlich die Worte »Oh, hi« aus meinem Mund kamen und ich mitten auf dem Rasen der Familie Abrams stand.
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sich Entsetzen auf dem Gesicht von Bex breitmachte, als sie Liz packte und versuchte, sie vom Rand des Daches wegzuziehen, aber eigentlich beachtete ich sie gar nicht. Wie könnte ich auch, wenn ein traumhafter Typ wie Josh Abrams total überrascht auf mich zuging, was völlig verständlich war.
»Hi. Ich hab nicht erwartet, dich hier zu sehen«, sagte er, und ich flippte sofort aus. Hieß das, er hatte an mich gedacht?Oder wollte er nur herausfinden, wie und warum ein merkwürdiges, von oben bis unten schwarz gekleidetes Mädchen in seinem Vorgarten erschien? (Zum Glück hatte ich meine Mütze und meinen Werkzeuggürtel im Busch gelassen.)
»Oh, du kennst doch die Joneses«, sagte ich, obwohl ich sie nicht kannte. Aber nach der Menschenschlange zu urteilen, die sich am Ende der Straße ins Haus oder heraus wand, war es wahrscheinlich eine ganz gute Antwort.
Zum Glück lächelte Josh und meinte: »Ja, die Partys werden jedes Jahr wilder.«
»Hmm«, machte ich und beobachtete, wie Bex sich bemühte, Liz nach hinten zu zerren, aber Liz rutschte aus und glitt über das Dach. Sie versuchte, sich an einer Regenrinne festzuhalten, rutschte aber wieder aus und baumelte gleich darauf an der Seite des Hauses. Mein Herz schlug immer heftiger (aus mehreren Gründen).
Josh sah genauso verlegen aus, wie ich mich fühlte, nickte dem Kuchen in seiner Hand zu und sagte: »Den hat meine Mutter vergessen.« Er schwieg, als würde er sich überlegen, ob er noch mehr sagen sollte. »Dabei vergisst sie nie etwas. Sie will nur, dass die Leute sich zehnmal nach ihrem Kuchen erkundigen, bevor sie das Kunstwerk enthüllt.« Seine freie Hand bohrte sich noch tiefer in seine Hosentasche. Er sah wieder verlegen aus, weil er dieses dunkle Familiengeheimnis preisgegeben hatte. »Blöd, was?«
Der Kuchen sah wirklich sehr gut aus, aber das konnte ich Josh natürlich nicht sagen.
»Nein«, sagte ich. »Das finde ich irgendwie süß.« Und es war ehrlich gemeint. Meine Mutter ist nicht für ihre Kuchen berühmt, sondern dafür, dass sie in Brüssel einmal eineAtomwaffe mit nichts anderem als einer Nagelschere und einer Haarspange entschärft hatte. In diesem Moment fand ich Kuchen irgendwie cooler.
Josh drehte sich um, aber Liz baumelte immer noch an der Dachrinne, also platzte ich mit dem Ersten, das mir einfiel, heraus. »War Keith überrascht?«
Ich hatte keine Ahnung, wer Keith war oder warum die Joneses ihm eine Geburtstagsparty gaben, aber es reichte, um Josh zu stoppen und sagen zu
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