Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spione kuesst man nicht

Spione kuesst man nicht

Titel: Spione kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Carter
Vom Netzwerk:
klar, warum ich sie nicht trösten konnte: Wie sollte ich meine Kleidung erklären? Oder weshalb ich überhaupt da war? Aber vor allem wusste ich, dass ich sie so nicht sehen sollte.
    Als sie nach einem Taschentuch auf dem Regal hinter dem Schreibtisch griff, waren ihre Augen geschlossen, und trotzdem fand sie die Schachtel mit der ruhigen Handbewegung eines Menschen, der wusste, wo sie sich befand. Es war Gewohnheit. Der Kummer meiner Mutter war wie ihr Leben ein großes Geheimnis. Ich tastete nach den Ohrringen in meiner Tasche und wusste, warum die Tränen ausgerechnet in dieser Nacht fließen wollten.
    »Oh, mein Gott«, sagte ich wieder – dieses Mal aus einem ganz anderen Grund.
    Ich schlich mich weiter den Gang entlang und setzte mich schließlich in einem verlassenen Klassenzimmer auf eine Fensterbank. Ich heulte nicht. Etwas sagte mir, das Universum würde es nicht ertragen können, wenn beide Morgan-Frauen gleichzeitig weinten. Also saß ich nur reglos da, ließ meine Mutter für kurze Zeit die Schwächere sein und übernahm zur Abwechslung einmal den Dienst.
    Ich rührte mich nicht. Ich durchwachte die Nacht. In der Schule um mich herum war es still. Die Lautlosigkeitberuhigte mein gebrochenes Herz und lullte mich ein. In meinem schlaflosen Dämmerzustand starrte ich an meinem Spiegelbild im dunklen Glas vorbei und wisperte traurig: »Herzlichen Glückwunsch und alles erdenklich Gute zum Geburtstag, Daddy.«
    Am Sonntagmorgen blieb ich so lang wie möglich weg, aber zur Mittagszeit musste ich zu meiner Mutter gehen. Ich wollte unbedingt wissen, ob sie okay war, und mich entschuldigen, dass ich den Geburtstag meines Vaters vergessen hatte. Ich musste herausbekommen, ob das der Anfang vom Ende meiner Erinnerungen war.
    Mit einem Dutzend Ausreden bewaffnet stürmte ich durch die Tür ihres Büros, die sich aber sofort in Luft auflösten, als mich Mom, Mr Solomon und Mrs Buckingham anstarrten, als ob ich eben aus dem All gebeamt worden wäre. Sie verstummten zu schnell – man sollte annehmen, Spione wüssten, dass man das nicht tut. Ich wusste nicht, was erschreckender war: die Tatsache, dass irgendetwas ganz offensichtlich nicht stimmte, oder dass drei Mitglieder des Lehrkörpers der weltbesten Schule für zukünftige Spione vergessen hatten, die Tür abzuschließen.
    Nach einer scheinbar ewig langen Zeit sagte Mrs Buckingham: »Cameron, ich bin froh, dass Sie hier sind. Sie haben große Erfahrung in einer Angelegenheit, die wir gerade besprechen.« In diesem Augenblick spielte es keine Rolle, dass Patricia Buckingham zwei schmerzende Hüften und arthritische Finger hatte – ich hätte schwören können, dass sie aus Stahl war. »Natürlich bist du, Rachel, Camerons Mutter und die Leiterin dieser Schule, weshalb ich vollkommen verstehenwürde, wenn du Cameron lieber bitten möchtest, den Raum zu verlassen.«
    »Nein«, sagte meine Mutter. »Jetzt ist sie hier und wird uns sicher helfen wollen.«
    Die Atmosphäre im Zimmer wurde mir langsam unheimlich, also fragte ich: »Was ist los? Was ist –«
    »Schließen Sie die Tür!«, befahl Mrs Buckingham. Ich gehorchte.
    »Abe Baxter hat sich nicht gemeldet«, sagte Mr Solomon und verschränkte die Arme, während er sich an die Ecke von Moms Schreibtisch lehnte, genauso, wie ich es schon hundertmal in der GehOp-Stunde beobachtet hatte. Und trotzdem fühlte es sich jetzt nicht wie Unterricht an. »Er hat sogar drei Rückmeldungen versäumt.«
    Erst, als ich meinen Rucksack im Rückgrat spürte, wurde mir bewusst, wie sehr mich seine Worte erschüttert hatten. Ich versuchte, mich an das Sofa zu lehnen. Ob Bex Bescheid wusste? Aber die Antwort war klar: Natürlich nicht.
    »Vielleicht hat er sich nur verspätet«, sagte Mrs Buckingham. »Solche Dinge passieren – Kommunikationsprobleme, Änderungen im Handy-Betrieb. Es muss ja nicht gleich bedeuten, dass seine Identität gefährdet ist. Trotzdem – drei verpasste Anrufe sind schon besorgniserregend.«
    »Ist Bex’ Mutter …«, stotterte ich. »Ist Bex’ Mutter auch mit dabei?«
    Mr Solomon sah Mrs Buckingham an, die den Kopf schüttelte. »Unsere Freunde vom MI6 sagen Nein.«
    Und dann begriff ich endlich, warum Mrs Buckingham die Diskussion leitete – sie hatte früher einmal dem britischen Geheimdienst angehört, genau wie Bex’ Eltern. Sie hatte denAnruf bekommen. Sie musste entscheiden, was man Bex sagen oder ob man sie überhaupt benachrichtigen sollte.
    »Es bedeutet nichts«, versuchte meine

Weitere Kostenlose Bücher