Spione kuesst man nicht
vorbereitet. Doch dann fiel mir das silberne Kreuz ein, das an meinem Hals baumelte.
Bevor ich fragen konnte, erklärte Liz: »Mir war an einem Wochenende mal langweilig, und da hab ich an deiner Kette herumgebastelt. Und sie aktualisiert. Wie findest du das?«
Ich finde, dass meine Freundinnen Genies und gleichzeitig ein bisschen gruselig sind. Aber das konnte ich ihr natürlich nicht sagen.
»So – hat dein Projekt geklappt?«, fragte Liz, und mir fiel ein, dass wahrscheinlich die halbe Schule mithörte. »Hat es Komplikationen gegeben oder –«
»Liz«, sagte ich bissig, weil ich nicht an Josh oder das, was ich gerade getan hatte, denken wollte. Der richtige Zeitpunkt, um mit Freundinnen wegen eines gebrochenen Herzens zu weinen, ist, wenn man Schokoeis isst und Liebesschnulzen anschaut – nicht, wenn Elektroschocker und kugelsichere Westen im Spiel sind. »Wo ist die CD?«, fragte ich.
Diesmal antwortete die Stimme von Bex: »Wir glauben, dass sie in dem großen Gebäude auf der Nordseite der Anlage ist. Tina und Mick sind hin, um aufzuklären, und wir halten hier die Stellung.«
»Wo ist hier?«
»Schau hoch!«
Zwei Tage nach der Beerdigung meines Vaters hatte meine Mutter einen Einsatz. Ich hatte bis dahin nicht begriffen, dass ein Spion manchmal eher Schutz als Tarnung braucht. Auf dem Dach zwischen Bex und Liz hockend war ich kein Mädchen, das eben mit dem Freund Schluss gemacht hat; ich schaute auf meine Uhr und prüfte meine Ausrüstung anstatt zu weinen. Ich hatte einen Auftrag und kein gebrochenes Herz.
»Okay«, sagte Liz, als die Mehrheit des zweiten Jahrgangs sich um sie versammelte. »Ich schätze, dass die Schule die Häuser besitzt, weil jemand hier eine Menge Geld investiert hat.« Sie zeigte auf eine grobe Zeichnung, die mit Eyeliner auf Evapopapier angefertigt worden war, wie mir mein Top-Spioninnen-Instinkt verriet. »Es gibt Bewegungsmelder im Umkreis. Die Fenster sind mit einer Alarmanlage verbunden.« Bex bekam leuchtende Augen, aber Liz dämpfte sofort ihre Begeisterung. »Ein Doktor-Fibs-Original. Unmöglich, sie mitten in der Nacht mit minimaler Ausrüstung auszuschalten.«
»Oh.« Bex fiel enttäuscht in sich zusammen, als ob wir ihr den Spaß verderben wollten.
Eva richtete ein Gerät, das wie eine gewöhnliche Radarpistole aussah, in Wirklichkeit aber ein Körperwärme-Detektor war, auf ein gegenüber gelegenes Gebäude und schwenkte es hin und her. Sie sagte: »Aha! Wir haben einen Hotspot.«
Mindestens ein Dutzend roter Gestalten wanderte über den Bildschirm, aber die meisten der roten Figuren drängten sich in der Mitte zusammen.
»Da ist unser Paket«, sagte Bex.
»Türen sind problematisch«, sagte Liz und leierte verschiedene Möglichkeiten herunter. »Fenster kommen nicht infrage. Dass sie den Heizkanal beobachten, ist klar. Und –«
»Ihr wisst, was das bedeutet!«, sagte Bex. Es klang wie die Herausforderung zu einer Mutprobe.
Liz sah uns der Reihe nach an und konnte sich denken, was uns durch den Kopf ging. Welche Möglichkeit uns blieb und dass wir alle zwanzig Pfund schwerer waren als sie.
»Nein!«, sagte Liz energisch. »Ich verirr mich oder werde geköpft oder –«
»Ich mach’s.« Ich drehte mich um und schaute Anna Fetterman an – Anna, die noch vor wenigen Monaten ihr Aufgabenheft verkrampft in den Händen hielt, als ob GehOp für sie den Tod bedeutete, trat vor und sagte: »Ich hab die richtige Größe, oder nicht?«
Da wusste ich, dass Dillon sie irgendwann wiedersehen würde und dass er dann gerettet werden müsste.
Piep.
Was war das?
Piep-piep.
»Ist das eine Rakete?«, fragte Anna und schaute in den Himmel.
Piep-piep-piep-piep-piep.
»Wir sind Ziele eines wärmegesteuerten Tranquilizer-Pfeils!«, schrie Eva.
Piiiiiiiiiiiep.
»Okay, keiner bewegt sich!«, brüllte eine männliche Stimme hinter uns.
Einige meiner Mitschülerinnen folgten. Ich auch, aber aus einem ganz anderen Grund. Nie hätte ich geglaubt, diese Stimme wiederzuhören. Aber sie sagte: »Ich … ich … hab schon neun-eins-neun angerufen. Die Polizei wird gleich –«
Aber die Gallagher Girls ließen ihn nicht zu Ende reden. Erhätte nichts Falscheres als neun-eins-neun sagen können, denn zwei Mädchen hatten sich blitzschnell auf ihn gestürzt, und ich musste »Eva, Courtney, nicht!« schreien.
Alle starrten mich an – Josh, der sich wunderte, dass ich nicht gefesselt oder tot war, und alle Mädchen des zweiten Jahrgangs (außer Bex und Liz), die
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