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Spionin in eignener Sache

Spionin in eignener Sache

Titel: Spionin in eignener Sache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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so lange an der Spitze der Hierarchie, daß sie nicht glauben können, beim Verlust ihres behaglichen Plätzchens könne so etwas wie Gerechtigkeit im Spiel sein.«
    »Und wie und wo«, fragte Kate, »lesen Sie Donald Halls neueste Gedichte?« Sie wollte es wirklich wissen.
    »In der öffentlichen Bibliothek. Da kann man ungestört sitzen und lesen. Es dauert natürlich eine Weile, bis man an die Bücher kommt, aber ich fülle immer gleich mehrere Bestellscheine aus. Ich kann keine Bücher mit heimnehmen, denn dazu braucht man eine Leihkarte, und ich hielt es für ratsam, meinen geliehenen Namen und Ausweis nur einmal zu benutzen. Außerdem lese ich gern in Bibliotheken, sogar in den verarmten Bibliotheken, mit denen die New Yorker gestraft sind. Vor kurzem las ich A. N. Wilsons Biographie über C. S. Lewis, in der er beschreibt, wie Lewis’ Oxford-Kollegen ihn haßten, weil er nicht nur brillant war, sondern auch populäre Bücher schrieb. Sogar er, ein Mann, stellte also eine Bedrohung für die Kleingeister in ihren bequemen Nischen dar. Darüber habe ich 67

    mir eine Notiz gemacht.«
    Kate sah lächelnd zu, wie Harriet in ihrer Tasche nach dem Notizbuch kramte. Sie strömte plötzlich über vor Zuneigung für diese Frau, nicht zuletzt, weil es sich so herrlich mit ihr streiten ließ. Mit einem zufriedenen Brummen zog Harriet das Notizbuch heraus und blätterte. »Hier«, sagte sie. »Wilson schreibt, daß Lewis’ Arbeiten
    ›weit interessanter und brillanter waren als alles, was seine Mitbe-werber um den Job je produziert hatten. Diese waren jedoch sichere Kandidaten, ehrwürdige Langweiler, genau die Kategorie Akademiker, die nach dem Geschmack der meisten Collegeleiter ist.‹ Englische Collegeleiter und amerikanische Professoren, Recht oder Literatur, es ist überall das gleiche.«
    »Muß man Blair also auch zu den Langweilern zählen?«
    »Gute Frage. Ich weiß es nicht. Manchmal irren sie sich bei der Berufung junger Männer. Sie glauben, wenn einer die richtige Haut-farbe, Religion, sexuelle Orientierung, Herkunft und Bildung hat, sei das ein Garant dafür, daß er ins Bild paßt. Und in neunzig von hundert Fällen, wenn nicht sogar mehr, behalten sie recht. Doch Blair gehört vielleicht wirklich zu den zehn Prozent. Schließlich war er mit Nellie befreundet, hat Reed für das Projekt gewonnen, und mit Ihnen, einer wegen ihrer Verdrehtheit berüchtigten Frau, hält er ein Seminar, noch dazu über Recht und Literatur. Aber er könnte jederzeit zu dem Schluß kommen, daß er nicht zu viel riskieren will. Denken Sie an A. N. Wilsons Worte: ›Wo Mittelmäßigkeit die Norm ist, dauert es nicht lange, bis sie zum Ideal wird.‹ «
    Und so nahm das Semester seinen Lauf. Reed, so schien es Kate, arbeitete beträchtlich mehr für sein Projekt als sie für ihr Seminar.
    Die Vorbereitung für nur einen Kurs in der Woche war ein Kinderspiel verglichen mit ihrem gewohnten Arbeitspensum; trotzdem stellte das Seminar Kate vor Schwierigkeiten, mit denen sie nicht gerechnet hatte. Blair gab ihr eine präzise Erklärung dafür: »Wir ermutigen die Studenten, über ihre Erfahrungen innerhalb und au-
    ßerhalb der Universität zu sprechen, und diese Gelegenheit wurde ihnen bisher nie geboten. Also lassen sie ihre Wut logischerweise an uns aus, wie Pubertierende an ihren Eltern, so stelle ich es mir zumindest vor. Und wie die Eltern würden wir sie manchmal am liebsten rausschmeißen.«
    Kates Reaktion auf die Studenten war jedoch weniger die einer geplagten Mutter als die einer verzweifelten Akademikerin. Den alten Knaben, die hier nach sokratischen Methoden lehren, dachte sie 68

    verdrossen, bleibt es jedenfalls erspart, daß fast jede ihrer Äußerungen von den Studenten erst einmal grundsätzlich in Frage gestellt wird.
    Es dauerte nicht lange, bis etwas Bedenkliches geschah.
    Blair und Kate hatten ihr Seminar beendet. Wie immer blieben viele Studenten im Raum, um miteinander oder den Professoren zu reden, aber es gab ein paar, die stets im frühestmöglichen Moment zur Türe eilten. Aber heute war sie verschlossen. Kein Klopfen und Rütteln nutzte, sie ging nicht auf.
    Der Raum im Souterrain hatte nur eine Tür und zurückgesetzte, vergitterte Fenster. Der Student, der hatte gehen wollen, warf sich gegen die Tür, und im nächsten Moment trat er dagegen. Nachdem Blair und Kate selbst vergeblich auf die Klinke gedrückt hatten, schlugen sie, nicht ohne gewisses Vergnügen, vor, alle sollten so laut schreien wie sie

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