Spionin in eignener Sache
anhörten; es waren nicht viele, aber immerhin ein paar. Ich glaube, das Ganze beeinflußte mich mehr, als mir klar war. Und dann« – Blair hatte offenbar vor, die Büroklammer in ihre ursprüngliche Form zurückzubiegen – »hatten wir eine dieser simulierten Gerichtsverhandlungen zur Übung für die Studenten. Das habe ich noch nie jemandem erzählt«, fügte er hinzu. »Ich komme mir wie ein Idiot vor.«
»Gehörten Sie zu den Richtern?« fragte Kate, um ihm das Reden zu erleichtern.
»Nein, ich nahm als Beobachter teil. Eine der Studentinnen bril-lierte regelrecht. Sie war viel heller, oder vielleicht sollte ich sagen: weniger kantig als die meisten unserer Studenten. Nachher lud ich sie und einen Kommilitonen, der sich ebenfalls gut gehalten hatte, zu einem Drink ein. Die Seligkeit der Studentin über ihren Erfolg war rührend. Dann brach sie auf, der Bursche und ich hatten die gleiche Richtung, und wir gingen ein Stück zusammen. ›Sie war wirklich bei der Sache, hat sich total reingekniet‹, sagte er. Ich dachte, er bewundere sie, aber irgendwas an seinem Lachen gefiel mir nicht. ›Ihre Nippel waren ganz steif. Ich hab’s gesehen. Sie war total geil.‹ Und 75
das, meine liebe Kate, gab den Ausschlag. Bisher habe ich noch keiner Seele davon erzählt.«
Kate lächelte ihn an. »Sie haben die Grenze überschritten. «
»Welche Grenze?«
»Jene, die Männer – einige wenige – verstehen läßt, worum es bei der ganzen Frauensache geht. Sie überschreiten die Grenze in ein anderes Land, und zurück können sie nicht mehr, jedenfalls die meisten nicht. Wenn man erst einmal angefangen hat zu verstehen, ist man zum Verstehen verdammt, und auch der ganze Dreck, den man dann von anderen Männern einzustecken hat, ändert nichts daran. Es hat mich schon immer interessiert, und ich habe mich oft gefragt, ob es ein bestimmter Moment ist, der den Ausschlag gibt, so wie bei Ihnen.«
»Gab es bei Reed so einen Moment?«
»Wissen Sie, ich habe ihn nie gefragt. Vielleicht tue ich es eines Tages.«
»Aber mich haben Sie gefragt, weil Sie sich nicht sicher waren, ob ich die Grenze wirklich überschritten habe, nicht genau wußten –
wie man in Harriets le Carré-Welt sagen würde – ob ich ein Maulwurf bin.«
Kate blickte auf ihren Schoß und betrachtete ihre Hände.
»Schon gut«, meinte Blair. »Behalten Sie’s für sich. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Es gibt Zeiten, da frage ich mich selbst, wo ich wirklich stehe. Und trotz Ihrer schönen Worte von Grenzüber-schreitungen, hätte Nellie nicht diesen sogenannten Unfall gehabt, wäre ich vielleicht wieder umgekehrt. Ja, das schließe ich nicht aus«, beharrte er, als Kate den Kopf schüttelte. »An einen Unfall habe ich übrigens nie geglaubt. Wir sind oft genug zusammen gegangen. Sie w7ar eine echte New Yorkerin und kannte die New Yorker Autofah-rer. Sie wäre nicht einfach auf die Straße getappt. Aber was weiß man schon? Vielleicht war sie verstört wegen irgendwas und in Gedanken woanders. Jedenfalls konnte ich nicht die Augen davor verschließen, daß sie eine Menge Probleme an der Schuyler aufwarf.
Einige Studenten, meist Frauen, aber auch einige Männer, wurden plötzlich aufsässig. Und machen wir uns nichts vor, seit ihrem Tod ist das Häufchen wieder so zahm wie früher.«
»Und ich«, schloß Kate das Gespräch ab, »darf Sie jetzt wohl nicht länger daran hindern, hübsch zahm zu Ihrer Fakultätssitzung zu gehen.« Blair schien noch etwas sagen zu wollen, aber Kate ging, ehe er dazu kam. Komisch, dachte sie, warum habe ich nur das si-76
chere Gefühl, daß sich die Detektivin in mir wieder meldet? Aber was will ich eigentlich aufdecken? Da sie schon einmal hier war, beschloß sie, bei Harriet vorbeizuschauen.
Im Sekretariat war Hochbetrieb. Professoren standen herum und stellten Forderungen, und Frauen hasteten hin und her. Nur Harriet saß gelassen und unerschütterlich an ihrem Schreibtisch. Sie begrüß-
te Kate formell, um eventuellen Beobachtern den Eindruck zu vermitteln, Kate sei gekommen, sich ein Manuskript abtippen zu lassen.
»Nehmen Sie Platz, Professor Fansler«, bat Harriet, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Ich hab’s nicht eilig.« Kate tat, wie ihr geheißen.
Nach und nach räumten die Männer das Feld, die Frauen gingen an die Arbeit, und Harriet beugte sich zu Kate hinüber.
»Gibt es eine Damentoilette in der Nähe?« fragte Kate.
»Aber ja«, Harriet erhob sich. »Ich zeige Sie Ihnen.« Zusammen verließen
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