Spionin in eignener Sache
Cassatts ›Die Bootspar-tie‹.«
»Wie ich gesehen habe, hängt es jetzt in Ihrem Büro.«
»Ja. Ich habe lange über das Gemälde nachgedacht. Es sagt eine Menge übers Familienleben aus – Nellie wies mich darauf hin. Die Augen des Babys sind auf den Mann gerichtet, die Augen der Frau auf den Mann und das Baby, die des Mannes auf die Ruder, vielleicht auch aufs Ufer. Nellie gefiel auch die Komposition des Bildes.
Jedenfalls behielt ich es als Erinnerung an sie.«
»Auf ihrem Schreibtisch stand ein Foto«, sagte Kate; daß sie es sich ausgeliehen hatte, verschwieg sie. »Ich nehme jedenfalls an, daß es dort stand, denn der Rahmen paßt zu dem Löscher. Auf dem Foto ist sie mit einem Mann zu sehen. Wissen Sie, wer er ist oder war?«
»Er war und ist ihr Bruder. So wie Nellie über ihn sprach, müssen sie sich sehr nahegestanden haben. Mich erstaunte das jedenfalls.
Ich habe auch eine Schwester, aber unser Verhältnis ist höflich dis-tanziert, und wir haben völlig verschiedene Interessen. Warum?«
»Ich würde gern mit ihm sprechen. Wissen Sie, wo er lebt?«
»Moment, da muß ich erst nachdenken. Er ist Dichter und hält an verschiedenen Universitäten Kurse ab – damit verdient er sich seinen Lebensunterhalt. Ich meine mich zu erinnern, daß er irgendwo im Mittelwesten eine mehr oder weniger feste Stelle hatte. Verdammt, aber an Genaueres erinnere ich mich nicht.«
»Heißt er auch Rosenbusch?«
»Ja. Aber seinen Vornamen habe ich vergessen. Heute abend vor dem Einschlafen werde ich scharf nachdenken, vielleicht weiß ich ihn dann beim Aufwachen. Manchmal funktioniert das. Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn er mir einfällt, aber falls Sie irgendwelche Dichter kennen, die können Ihnen vielleicht weiter helfen als ich.«
»Danke, Blair.«
»Wissen Sie, Kate, vielleicht war Nellie wirklich nur zerstreut, als sie unter den Laster kam. Und ich halte es für keine gute Idee, den Bruder…«
»Ich werde ihm schon nicht zu nahe treten«, beruhigte ihn Kate.
Wenn ich ihn überhaupt finde, fügte sie insgeheim hinzu, als sie auflegte.
Blairs nächtliche Kontaktaufnahme mit seinem Unterbewußtsein stellte sich als enttäuschend heraus. Unter Kates einstigen Kommilitonen, die mit ihr promoviert hatten, waren einige Dichter, die bei ihrem Handwerk geblieben waren, statt Klimmzüge an der akademi-81
schen Karriereleiter zu veranstalten. Hin und wieder zogen sie sich jedoch einen Lehrauftrag an Land, um sich über Wasser zu halten.
Kate beschloß, einen nach dem andern anzurufen, in der Hoffnung, einer habe vielleicht von dem Dichter Rosenbusch gehört. Natürlich war es nicht leicht, ihre Dichterfreunde überhaupt zu lokalisieren, deren Leben unstet war, und es dauerte einige Tage, bis sie den ersten ausfindig machte. Der war jedoch unerwartet hilfreich.
»Natürlich kenne ich Rosie«, polterte er fröhlich ins Telefon, nachdem er und Kate die üblichen Fragen und Antworten ausgetauscht hatten. »Schreibt gute Gedichte. Lebt in New Hampshire.
Will sehen, ob ich seine Adresse ausgraben kann, und melde mich dann wieder bei dir. Aber falls du was gedichtet haben willst – wie wär’s mit meinen Diensten?«
»Wenn es darum ginge, jederzeit. Und du versuchst, Adresse und Telefonnummer herauszufinden, ja? Es ist ziemlich wichtig.«
»Geht sofort los. Ich nehme an, du hast einen dieser barbarischen Apparate, auf dem ich eine Nachricht hinterlassen kann?«
»Habe ich.« Sie gab ihm ihre Nummer.
»Wenn ich das nächste Mal nach New York komme, rechne ich mit einem luxuriösen Mahl in einem dieser schnieken Restaurants.«
»Alles was du willst«, versprach Kate. »Sogar ein schniekes Restaurant.«
Später am Tag spuckte Kates Anrufbeantworter Rosenbuschs Adresse aus, aber nicht seine Telefonnummer. » Ich hab es bei der Aus-kunft probiert«, hieß es in der Nachricht weiter, »aber offenbar hat er eine Geheimnummer. Schlauer Bursche. Vielleicht hast du ja einen guten Draht zur Telefongesellschaft. Übrigens, gibt es ein Restaurant namens Luchese?«
Weder sie noch Reed, den sie einspannte, konnten der Telefongesellschaft Rosenbuschs (Vorname Charles) Nummer entringen. Aber Kate war wild entschlossen, ihn aufzuspüren, auch wenn sie niemandem hätte plausibel machen können, warum. Trotzdem lehnte sie es ab, einen Familiennotfall vorzutäuschen, um an seine Nummer zu kommen. An Familientragödie hatte er bereits genug.
»Dann fahre ich eben hin und hoffe, daß er zu Hause ist«, verkündete Kate.
Reed
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