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Spionin in eignener Sache

Spionin in eignener Sache

Titel: Spionin in eignener Sache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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hatte.
    »Warum endet das Buch dann Ihrer Meinung nach mit den Worten Herr Jesus}« fragte Kate.
    Er zuckte die Schultern. »Damals waren doch alle religiös. Ist wahrscheinlich bloß eine Floskel.«
    »Kann sein. Aber wie erklären Sie sich dann Janes Antwort an Mr. Brocklehurst, als er sie warnt, sie werde nach ihrem Tod in die Hölle kommen, wenn sie böse sei?«
    »Ich erklär es mir überhaupt nicht, ich höre mir bloß Ihr Gequat-sche darüber an.«
    »Genau. Wir beide lesen und studieren Texte. Sie juristische, ich literarische. Man muß nicht unbedingt Literatur studiert haben, um literarische Texte aufmerksam und verständig zu lesen, und wenn ich recht sehe, konnte man früher Anwalt werden, indem man in einer 118

    Kanzlei arbeitete und die Gesetze durch den praktischen Umgang damit lernte. Ein Universitätsstudium war nicht nötig. Ist es nicht einfach so: Keiner von uns kann alles tun, aber wir können voneinander lernen?«
    »Sie reden nur Scheiß!« blaffte er, blieb zwar sitzen, sah aber aus, fand Kate, als würde er im nächsten Moment buchstäblich an die Decke gehen.
    »Du darfst verschwinden, Ted«, sagte Blair. »Bitte geh! Halt dich nicht damit auf, mich zusammenzuschlagen, und versuch auch nicht, die Tür zu verschließen. Geh einfach – und zwar auf dem direktesten Weg!«
    Es war unklar, ob Ted der Aufforderung folgen oder wutschnau-bend sitzen bleiben würde. Zur Erleichterung aller sammelte er aber seine Bücher ein und stampfte hinaus.
    »Der nächste? « fragte Blair so ruhig, als sei nichts gewesen.
    Irgendwie schien der Ausbruch die Luft gereinigt zu haben; und nachdem Ted sozusagen stellvertretend Dampf abgelassen hatte, konnten die anderen ruhig reden. Ihre Beschwerden kreisten, mit Variationen, alle um dasselbe Thema. Nach Nellie Rosenbuschs Tod hätte eine andere Frau den Lehrstuhl bekommen müssen, um sie zu ersetzen. Frauenspezifische Probleme müßten diskutiert werden.
    Vergewaltigung und Eheprobleme dürften nicht mehr Gegenstand von Witzeleien der Männer in der Klasse sein. Die Professoren sollten nicht mit den Studentinnen flirten und sie erst recht nicht anmachen.
    Hier wurde Einspruch erhoben. »Viele Jurastudentinnen haben ihren Professor geheiratet«, bemerkte eine junge Frau in der Nähe von Kate. »Von meinen Freundinnen weiß ich, daß es an jeder juristischen Fakultät Beispiele dafür gibt, das heißt Professoren, deren Frauen früher ihre Studentinnen waren. Ich finde, das darf man nicht so eng sehen.« Alle blickten Kate an, gespannt auf ihre Antwort.
    »Beziehungen sind eine Sache«, erklärte Kate. »Sexuelle Belästigungen eine ganz andere. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand von Ihnen den Unterschied nicht wüßte. In den Fachbereichen für Literatur, die ich kennengelernt habe, gab es sogar Doktorandinnen, die bereits verheiratete Professoren ehelichen wollten; manchmal, oft sogar, verließen diese Professoren ihre Frauen, um die Studentin zu heiraten. Aber sobald sie verheiratet waren, stellten viele innerhalb kurzer Zeit fest, daß es eine neue Doktorandin gab, die auf ihren Platz drängte. Möglich, daß es heute nicht mehr so ist. Manchmal bin 119

    ich nicht ganz auf dem laufenden, was die gegenwärtigen Sitten betrifft.«
    »Jedenfalls finde ich«, kam es von der jungen Frau, »daß wir zu viele Gesetze machen; für alles und jedes wollen wir ein Gesetz haben!«
    »Der Meinung bin ich manchmal auch«, bestätigte Kate. »Aber wenn wir über Gesetze debattieren, die verhindern sollen, daß bestimmten Leuten Schaden zugefügt wird, dann machen wir uns immerhin die Möglichkeit solcher Schädigungen bewußt. Also erfüllt die Debatte ihren Zweck, obwohl ich Ihnen letzten Endes zustimme.«
    Zu Kates Freude lächelte die junge Frau sie zustimmend an. Gott, dachte Kate, wieviel uns doch daran liegt, daß sie uns anerkennen und, wenn auch ohne Worte, zugeben, daß sie etwas von uns gelernt haben!
    Fast alle waren inzwischen zu Wort gekommen. Als einer der letzten kam ein junger Mann an die Reihe. Kate hielt, metaphorisch gesprochen, den Atem an; sie mochte ihn und hoffte, er sei nicht so verbohrt wie die beiden anderen aufgebrachten jungen Männer. Falls doch, konnte man bei ihm wenigstens sicher sein, daß er höflich blieb.
    »Die Frage, die Sie Ted über ›Jane Eyre‹ gestellt haben, finde ich sehr interessant«, sagte er. »Warum geht es im letzten Absatz des Buches um Gott? Jane haßte religiöse Heuchelei, und als sie göttlichen Rat brauchte,

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