Spionin in eignener Sache
Kate gepreßt, als sie schließlich am Ziel angekommen waren, »wünschte ich, wir hätten nie von der Schuyler gehört.«
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Ich habe mein Leben in Institutionen investiert, dachte er ohne Bitterkeit, und alles, was mir geblieben ist, bin nur ich selbst.
John le Carré, ›Agent in eigener Sache‹
Vor Kates Seminartermin in der folgenden Woche konnte Reed ihr die erfreuliche Mitteilung machen, daß Betty Osborne die Wiederaufnahme ihres Verfahrens ernsthaft erwog. Blair und Kate näherten sich dem Seminarraum mit dem Gefühl, auf alles gefaßt sein zu müssen, außer, wie Blair erklärte, noch mal eingeschlossen zu werden.
»Auf mein Drängen hin wurde das Schloß entfernt. Gottlob, kann ich nur sagen. Was zuviel ist, ist zuviel. Nach Ihnen«, meinte er und hielt für Kate mit ihrer Aktentasche unter dem Arm die Tür auf.
Ein Glück, daß sie beide auf Überraschungen vorbereitet waren, denn wie sich herausstellte, waren die Studenten in eine neue Phase eingetreten: mit vollem Elan stürzten sie sich plötzlich auf die Un-gleichbehandlung der Geschlechter durch das Gesetz.
Für die heutige Sitzung hatten die Studenten Bradwell gegen Illinois gelesen, jenen Fall, in dem eine Frau zum ersten Mal beim Obersten Gericht eines Bundesstaates ihr Recht einklagte, als vollwer-tiges Mitglied der Gesellschaft behandelt zu werden, wie Herma Hill Kay es ausdrückte. Kate bewunderte Herma Hill Kay, die ein Nach-schlagewerk über Präzedenzfälle von Geschlechterdiskriminierungen veröffentlicht hatte und jetzt Dekanin an der juristischen Fakultät der Stanford University war. Myra Bradwell hatte ihre Zulassung als Anwältin beantragt, die ihr vom Obersten Bundesgericht von Illinois verweigert wurde, weil sie eine Frau war. Nach Beendigung ihres Jurastudiums, bei dem sie von ihrem Mann voll unterstützt worden war, hatte er sie als Teilhaberin in seine Rechtsanwaltskanzlei auf-nehmen wollen. Richter Miller lehnte das ab und verkündete in seiner Urteilsbegründung: »Die höchste Bestimmung und Aufgabe der Frau ist es, ihren edlen und hehren Pflichten als Ehefrau und Mutter nachzukommen. So lautet das Gebot unseres Schöpfers.« Herma Hill Kays trockener Kommentar dazu gefiel Kate ganz besonders: »Obwohl er nicht verriet, wie und wann er mit seinem Schöpfer Dialog 115
hielt, war ›Gottes Wille‹ das Hauptargument des Richters, mit dem er diese Geschlechterdiskriminierung rechtfertigte.«
In der heutigen Stunde sollte diskutiert werden, welche Rolle die Religion bei der Diskriminierung von Frauen in Gerichtsurteilen wie diesem, verschiedenen anderen vorher behandelten Fällen und bei
›Jane Eyre‹ spielt. Wie sich jedoch herausstellte, hatten sich Kate und Betty mehr über ›Tess von den d’Urbervilles‹ zu sagen gehabt, als den Studenten zu ›Jane Eyre‹ einfiel. Ihnen brannte etwas ganz anderes auf den Nägeln – die Frage, wie Frauen und Minderheiten an der Schuyler behandelt wurden.
»Also gut.« Blair schob seine Bücher und Papiere beiseite.
»Wenn man in einem Seminar nicht ab und zu über das wirkliche Leben reden kann, dann ist es kein Seminar, sondern ein leeres Ritual.« Kate schrieb schnell etwas auf einen Zettel und schob ihn ihm über den Tisch zu. Vielleicht schneidet wieder jemand mit. Blair blickte kurz auf den Zettel, kritzelte selbst etwas darauf und schob ihn Kate wieder zu, während er in den Raum rief: »Aber bitte nicht alle auf einmal. Schön der Reihe nach, zumindest am Anfang.«
Er hatte geschrieben: Ich habe einen Lehrstuhl und bin unkündbar, und Sie sind am Ende des Semesters sowieso von hier weg, also…
Von geordnetem Vorgehen konnte jedoch keine Rede sein.
Die Studenten hatten eine Sprecherin gewählt, die ihre Gedanken methodisch geordnet hatte und sie jetzt vorbringen wollte; aber offenbar war das Thema so brisant, daß sich die Unruhe im Raum nicht legen wollte. Kaum jemand saß still, geschweige denn, daß er den Mund hielt.
Immerhin ließen sie die junge Frau zu Wort kommen. »Bisher wurde nie eine Studentin als Herausgeberin der ›Law Review‹ ge-wählt. Sie glauben es vielleicht nicht, Kate, aber ehe Sie kamen, war das keinem einzigen hier aufgefallen. Es hieß immer, der Student mit den besten Noten würde gewählt, aber letztes Jahr behauptete eine Studentin, sie hätte die besten Noten und deshalb Anspruch darauf.
Und wir, wir taten sie einfach als dumme Aufschneiderin ab. Doch inzwischen haben wir unsere Zweifel.«
Kate und die Studenten sahen Blair
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