Spionin in eignener Sache
war es der Mond, eine weibliche Gottheit, die zu ihr sprach. Warum endet der Roman dann mit Gott?«
»Haben Sie eine Erklärung?« fragte Kate.
»Ich glaube, es war ein bloßes Lippenbekenntnis. Ein Schwindel!
Charlotte Brontë hatte wohl Angst, ihr Buch sei zu revolutionär, also brachte sie zum Schluß Gott ins Spiel. Wenn man bedenkt, daß es 1874 war, kann man ihr wohl kaum einen Vorwurf daraus machen, aber schade finde ich es trotzdem.«
»Gut möglich, daß Sie recht haben. Ich selbst habe auch noch keine Antwort gefunden, die mich länger als eine Woche zufrie-denstellt. Aber der letzte Absatz beginnt mit einer Anspielung auf St.
John. Jane hatte eine keusche Ehe mit ihm abgelehnt und die Religion zugunsten einer Beziehung aufgegeben, die ihr Sexualität erlaubte. Und da sie nun ihre Sexualität ausleben konnte – vielleicht war es ihr ja möglich, sich der Religion wieder neu zu nähern?«
Der junge Mann lachte. »Ich glaub immer noch, daß es ein 120
Schwindel war.«
»Na gut«, gab sich Kate geschlagen. »Wie gesagt, Sie könnten durchaus recht haben.«
Als Kate in Blairs Büro ging, um ihren Mantel zu holen – Blair war noch unten und redete mit einem Studenten – wurde sie von Harriet abgefangen. »Wie ist’s im Gefängnis gelaufen?« wollte sie wissen.
»Besser, als ich erwartet hätte. Betty war dankbar für die Zigaretten. Wie es aussieht, entschließt sie sich wahrscheinlich, ihren Fall mit Reeds Hilfe wieder aufzurollen. Warum fragen Sie?«
»Weil ich mich für alles interessiere – wie Walt Whitman. Aber eigentlich habe ich Ihnen aufgelauert, weil ich finde, daß wir uns treffen sollten.«
»Wir treffen uns doch gerade. Oder ist Ihnen nach einem gemütlichen Plausch? Wollen wir uns wie gewöhnlich auf die Toilette zurückziehen?«
»Nein, Sie Witzbold! Ein Treffen mit allen meine ich – Sie, ich, Reed, Blair und Reeds Projektassistentin. Nur um sicherzugehen, daß wir alle am gleichen Strang ziehen, alle auf dem laufenden sind.«
Kate sah sie überrascht, oder eher zweifelnd, an.
»Ach, im Grunde bin ich bloß auf Ihren Maltwhisky aus«, gestand Harriet, »und ich finde, so ein Treffen ist ein guter Vorwand.
Tun Sie mir doch den Gefallen. Laden Sie uns heute alle zu einem Drink ein.«
»Also gut. Ich will sehen, was sich machen läßt. Zuerst frage ich Reed, wie es mit ihm und Bobby steht, dann Blair, und wenn es allen paßt, packe ich Sie in mein Auto, fahre Sie zu mir und schütte Sie mit Maltwhisky voll.«
»Sie sind eine bewundernswerte Frau. Das habe ich schon immer gesagt«, verkündete Harriet. »Ich warte darauf, daß Sie mich einpa-cken.«
Wie sich herausstellte, fand Reed die Idee eines gemeinsamen Drinks verlockend und versprach, Bobby mitzubringen. Auch Blair stand der Sinn nach Geselligkeit, und da Harriet schon in den Start-löchern saß, kamen alle ungefähr gleichzeitig an. Kate holte den Maltwhisky, auf den sich alle außer Bobby, die nicht trank, geeinigt hatten. Zu ihrer Freude und Überraschung entdeckte Kate auch noch eine Flasche Ginger Ale für Bobby, dann setzten sie sich zum gemeinsamen Plausch.
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»Ich nehme an, Kate hat Ihnen von den Handgreiflichkeiten und verbalen Attacken in unserem Seminar erzählt«, sagte Blair zu Reed.
»Die Behauptung, an der Schuyler gehe es langweilig zu, ist damit wohl endgültig widerlegt – dank Kate.«
»An mir kann es nicht liegen«, widersprach Kate. »Von Fußmärschen abgesehen, habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht körperlich verausgabt. Und in meinem Fachbereich gehen die Leute nicht mit Fäusten aufeinander los, jedenfalls nicht in meiner Gegenwart. Sie reagieren ihre Aggression ab, indem sie mit Freunden Squash spielen; und ihre Feinde ignorieren sie schlicht, oder geben nette, belanglose Nichtigkeiten von sich, falls sich ein Gespräch absolut nicht umgehen läßt.«
»Und zu welchem Lager gehören Sie?« fragte Harriet mit einer gewissen Spitze.
»Oh, ich bin für die netten Belanglosigkeiten«, erwiderte Kate unbeirrt. »Sie wären trotzdem überrascht, wie lange ich gebraucht habe, bis ich dahinterkam, daß Zusagen nichts bedeuten. Aber man hat mich immer mein eigenes Ding durchziehen lassen, wie man heute sagt. Ich meine, niemand drang in meine Seminare ein und schrieb mir vor, was oder wie ich zu lehren hätte.«
»Ich weiß, wovon du redest«, war Reeds überraschender Kommentar. »Deshalb verließ ich die Bezirksstaatsanwaltschaft. Ich hatte dort kurz nach meinem Studium
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