Spitfire: Kühler Tod
noch nicht ganz in diesem Jahrhundert angekommen, aber es gab auf der Insel sogar mal zwei Rolltreppen. Eine im Buchladen und eine im Kino. Der Buchladen hat zugemacht«, erzähle ich.
»Und eine neue Bücherei gibt es auch«, fügt Papa hinzu.
»Oh, und ein paar Restaurants, die nicht besch…« Papa wirft mir einen finsteren Blick zu. »…eiden sind.«
Als wir auf die Central einbiegen, betrachten wir eine Weile schweigend das Straßenbild und das Blätterdach der Platanen. Nach ein paar weiteren Kurven fährt Nickels unsere Einfahrt hoch. Er steigt aus, bleibt aber an seiner offenen Wagentür stehen.
Ich schaue mich nach ihm um. »Kommst du denn nicht mit rein?«
»Ich würde gerne, aber ich treffe mich heute Abend mit meinem neuen Boss zum Essen.«
»Schade. Ich hätte gerne gehört, was du so getrieben hast«, sage ich enttäuscht.
»Wie wär’s mit morgen Abend?«, schlägt er vor.
»Da sind wir zu einer Hochzeit eingeladen, aber du kannst gerne zum Empfang mitkommen«, sage ich mit einem Blick auf Papa.
»Gabriel und Ignacio kommen auch«, ermutigt er Nickels.
»Mitsamt Ehefrauen und Rasselbande«, ergänze ich.
Ich sehe, dass er gerade dankend ablehnen will, weil er denkt, wir gingen zu einer Gringohochzeit, und keine Lust auf Sitzordnungenhat. »Es ist eine mexikanische Hochzeit«, sage ich zu dem jungen Nickels, der mit uns auf zahllosen Feten war.
Papas Blase ist so schwach wie die einer Frau im neunten Monat und ich weiß, dass er aufs Klo muss, aus Höflichkeit aber stehen bleibt.
»Hat da gerade das Telefon geklingelt?«, frage ich.
Papas Blick fliegt zum Haus. »Bis morgen«, ruft er.
Wir sehen Papa hinterher, wie er etwas wacklig die Eingangsstufen erklimmt. »Er wird alt«, sagt Nickels.
»Ja.« Was für ein Gewicht für ein so kleines Wort.
Dann wendet er sich wieder an mich. »Dann hat also tatsächlich jemand Iggy geheiratet?« Er gibt sich keine Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Das mag ich so an ihm.
»Ja. Lydia. Gott sei Dank kommen ihre drei Töchter nach ihr … du weißt schon, Zweifüßler … normale Schädelform … keine Schwänze.«
Er lacht. »Ich kann’s gar nicht erwarten, sie alle wiederzusehen. Ich ruf dich später an.« Mit diesen Worten steigt er wieder ins Auto.
Nachdem er weggefahren ist, fällt mir ein, dass ich ihm ja meine Nummer gar nicht gegeben habe. Ich frage mich, ob ich gerade ganz übel abgeblitzt bin, als mein Handy klingelt. Eine 703-Vorwahl. Woher zum Teufel kommen Leute mit einer 703-Vorwahl?
Unsicher, ob der Anrufer wohl Freund oder Feind ist, sage ich »Ambo« und gebe damit gleich zum zweiten Mal in dieser Woche meine neue Papua-Neuguinea-Begrüßung zum Besten.
»Papa hat mir deine Nummer gegeben.« Es ist Nickels. »Und jetzt hast du meine auch.«
KAPITEL 16
Samstag, 6. August
Wenn man aus einer mexikanischen Familie kommt – selbst wenn man kein praktizierender Mexikaner ist –, hat man kaum einmal ein Wochenende frei. Von April bis August gehen wir auf Hochzeiten und von September bis Thanksgiving gibt es Babypartys. Nach Neujahr stehen dann die Taufen an. Und dann beginnt der ganze Fruchtbarkeitszyklus wieder von vorne.
Die heutige Hochzeit ist die meiner Cousine Irma Sanchez, die zwar keine Bluts-, dafür aber eine Ortsverwandte von mir ist. Wie Papa stammt ihre Familie aus Austin, Texas. Sie heiratet einen Typen namens Joe Sanchez (die beiden sind aber ebenfalls nicht verwandt). Die Glückliche muss sich also den ganzen Stress mit der Namensänderung nicht antun.
Eigentlich wollte ich eine kalifornische Fahrgemeinschaft zur Kirche organisieren, was bedeutet, dass einfach jeder mit dem eigenen Auto kommt, aber mein Bruder Gabriel hat darauf bestanden, uns abzuholen. Ich verstehe auch, warum. Benzin liegt bei einem Dollar pro Liter und Papas Bronco schluckt ungefähr 30 Liter auf 100 Kilometer.
Ich trage ein cremeweißes Donna-Ricco-Etuikleid aus Satin und Jacquard und habe mir die Haare zu einer Banane hochgesteckt.Das Kleid ist sexy genug, um mir einige hochgezogene Augenbrauen zu bescheren, aber wiederum nicht so sexy, dass man mich wegen des Dekolletés aus der Kirche werfen würde. Papa trägt seinen guten schwarzen Anzug. Während ich ihm die Krawatte binde – die mit den Poker spielenden Hunden, die ihm meine Wenigkeit zu Weihnachten geschenkt hat –, fragt er mich mit hoffnungsvollem Blick: »Hat Nickels dich angerufen?«
Ich nicke. »Er hat heute Nachmittag schon Termine, aber er kommt später
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