Spitfire: Kühler Tod
zum Empfang.«
Genau in diesem Augenblick ertönt Gabriels Hupe.
»Himmel, wenn ich mir auch nur eine dieser Geniekinder-Sendungen mit anschauen muss, springe ich aus dem fahrenden Auto«, drohe ich.
»Ach, Tomi. So schlimm ist das doch auch wieder nicht«, sagt Papa, als wäre ich die Dramakönigin in Person.
Im Minivan begrüßen uns Gabriel und Abby. Da ihre Kinder halb mexikanisch, halb chinesisch sind, sehen sie aus wie Filipinos. Die Kids schauen sich auf dem am Dach montierten Bildschirm mit DVD-Player einen Zeichentrickfilm über das Periodensystem der Elemente an. Papa und ich wechseln einen Blick und sehen dann schnell aus den Seitenfenstern, um nicht laut loszulachen.
Parken in der Innenstadt von Oakland ist fast so schlimm wie parken in San Francisco und letztendlich müssen wir drei Blocks weit zur Kirche laufen. Zuerst klettern die Kinder hinaus auf den Bürgersteig. Jeder der Jungs nimmt eine meiner Hände. Ich schaue mich nach Papa um und sehe, wie Ruby nach seiner Hand greift. Bei diesem Anblick wird mir warm ums Herz.
Als wir an einer schmalen Gasse vorbeikommen, folge ich den neugierigen Blicken der Jungs zu drei Gestalten, die auf Milchkartons sitzend vor sich hindämmern. Fragend sehen meine Neffen mich an. »Das sind Junkies«, erkläre ich. »Das heißt, dass man drogenabhängig ist. Und wenn man ein Junkie wird, gibt es keine weichen Decken, keine Salamipizza, keine Xbox-Spiele und keine Selena Gomez mehr, und außerdem will niemand mehr mit einemspielen, weil man einen furchtbar stinkenden Ausschlag am Hintern bekommt.« Das sollte sie eine ganze Weile abschrecken.
»Manche Baseballstars trinken auch viele Drogen und manchmal rennen sie auch mit durchgedrückten Knien«, erklärt mein Neffe Ryan, die Stimme voller gerechter Entrüstung.
»Autsch. Da weiß man wirklich nicht, was schlimmer ist«, sage ich.
Wir kommen pünktlich in der Kirche an. Verdammt! Vor der Trauung gibt es eine komplette Messe. Wenn ich am Steuer gesessen hätte, wären wir genau fünfundvierzig Minuten zu spät gekommen, mit anderen Worten: gerade rechtzeitig zum Jawort, ohne das ganze Aufstehen und wieder Hinsetzen und Knien davor.
In der St.-Elizabeth-Kirche haben Iggy und seine Familie uns Plätze freigehalten und winken uns zu sich. Ich sehe, dass Marcela Figueroa, Papas »Freundin«, mit ihrer Familie auf der Seite des Bräutigams sitzt. Sie haben sich bei einem Aquarellkurs kennengelernt, der vom Seniorenverein auf der Insel organisiert wurde.
Papa winkt ihr verstohlen zu. »Papa und Marcela …«, trällere ich ihm leise ins Ohr.
»Ist ja schon gut«, unterbricht mich Papa, bevor ich die Sache weiter ausschmücken kann.
Als der Priester hinter den Altar tritt und mit seinem Sermon beginnt, fällt mir ein, dass ich meine Ohrstöpsel zu Hause vergessen habe. Ohne musikalische Ablenkung muss ich eben meine Gedanken schweifen lassen. Ich lande bei der heiligen Elisabeth, der Schutzpatronin dieser Kirche. Sie war eine Königstochter, wählte aber ein Leben in Sühne und Armut. Ist schon klar. Es wird mir allerdings wohl ewig ein Rätsel sein, wie es die Nationalheilige von Ungarn nach Oakland verschlagen hat.
In tiefem, verträumtem Schweigen frage ich mich, für was ich denn am liebsten eine Schutzheilige wäre. Es dürfte nichts allzu Alltägliches sein, sonst hätte ich ja nie meine Ruhe. Wie der heilige Antonius, der ja permanent wegen irgendwelcher verlorenen Dinge angerufen werden muss. Nein. Es müsste irgendetwas Saisonales sein, dann hätte ich meistens frei. Ich male mir aus, wie ich inBuntglas wohl wirken würde. Tomasita Reyes, die Schutzheilige der Herbstmode.
So ein Kirchenbesuch ist die reinste Hölle. Eine Stunde und achtzehn Minuten lang schaffe ich es, nicht auf die Uhr zu schauen. Dann ist es endlich vorbei und Oaklands neuestes Ehepaar küsst sich. Der Priester präsentiert Familie und Freunden Mr und Mrs Sanchez. Irgendwie sieht die Braut ein bisschen so aus, als hätte man sie in Zierdeckchen gewickelt. Wenn man die Augen zusammenkneift, könnte man sie glatt für eines dieser niedlichen Häkelpüppchen für Toilettenpapierrollen halten.
Auf dem Weg nach draußen reicht man uns bestickte Hochzeitssäckchen voll mit Vogelfutter. Meine Nichten schauen verwirrt. »Warum denn Vogelfutter und kein Reis?«
»Weil die Vögel platzen, wenn sie Reis fressen«, erklärt Iggy und lacht dann tatsächlich über die entsetzten Mienen seiner drei Töchter.
»So ein Sch…rott!«, widerspreche
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