Spitfire: Kühler Tod
wir ein lange vermisstes Familienmitglied wiedergefunden.
Er löst sich von mir und betrachtet mich von oben bis unten. Gott sei Dank habe ich für die Vernehmung bei der Polizei meine Dolce & Gabbana-Kombination gewählt und mich bei meinem kurzen Zwischenstopp zu Hause nicht umgezogen. Es ist ein schwarzes Businessoutfit und sieht gleichzeitig elegant und sexy aus.
»Tomi … du siehst … fantastisch aus!«
Ich denke:
Danke,
Clothes Minded. Das ist die Versandboutique, aus der alle meine schicken Klamotten stammen. Aus dem Augenwinkel erhasche ich einen Blick auf Papa, der gerade auf den Rücksitz klettern will. Bei seinem schlimmen Rücken und der Arthritis kriegen wir ihn da nie wieder raus. »Oh, nein, das lässt du schön bleiben«, sage ich, ziehe ihn behutsam am Arm und schiebe mich an ihm vorbei in das Autoheck.
Als wir alle im Wagen sitzen, beuge ich mich zwischen den Sitzen vor und blockiere so Nickels Rückspiegel. Abwechselnd sehe ich sie an. »Will mich mal jemand aufklären?«
»Anschnallen«, ermahnt mich Papa.
»Hey, auf dem Rücksitz eines Taxis schnalle ich mich doch auch nicht an«, motze ich, während ich den Gurt anlege.
»Ich bin geschäftlich in der Stadt und fahre gerade an meinem alten Haus vorbei, als ich da Papa in eurem Vorgarten stehen sehe.«
Mir fällt auf, dass er
Papa
mit spanischem Akzent ausspricht, genau wie meine Brüder und ich. Genauso wie das Wort
Patata
.
Ich lächle. »Geschäftlich?«
»Hab mich um eine Versetzung nach San Francisco beworben und sie bekommen«, erklärt Nickels.
»Das ist ja super! Was arbeitest du denn?« Doch bevor er etwas antworten kann, sage ich: »Nein, warte, lass mich raten.« Ich mustere den schwarzen Anzug, die kurz geschnittenen Haare und die Aktentasche neben mir. »Klinkenputzer? Totengräber? Politiker?«
Im Rückspiegel sehe ich, wie Fältchen um seine Augen erscheinen, und weiß, dass er lächelt. »Einen Versuch hast du noch.«
Ich sehe mich um. Es ist ein Mietwagen, gibt mir also keine Anhaltspunkte. Vorhin sind mir noch die Uhr, die Sonnenbrilleund die langweilige Krawatte aufgefallen, dazu die weichen Hände und die sauberen Nägel. »Du bist ein FBI-Agent.« Nickels und Papa tauschen einen Blick.
»Hast du ihr das erzählt?«, fragt Nickels, aber Papa schüttelt schon den Kopf.
»Lass mich mal deine Marke sehen«, verlange ich, stolz, weil ich richtig geraten habe.
Nickels reicht mir ein brieftaschenähnliches Ding nach hinten. »Nur Kriminelle und Gesetzesvollstrecker erkennen einen Bundesbeamten. Wozu gehörst du?«
»Ich verweigere die Aussage.« Ich klappe das Ding auf und habe die hässlichste Brosche vor mir, die ich jemals gesehen habe. Wenn nicht
Federal Bureau of Investigation Departement of Justice
draufstehen würde, hätte ich sie für ein Symbol von etwas völlig anderem gehalten. Ein Reichsadler thront über einer Frau mit Augenbinde im Bondage-Outfit. In der einen Hand hält sie eine Waage – ohne Zweifel zum Abwiegen von Crack – und in der anderen ein Schwert, damit ihr keiner was klaut.
Mir gehen all die schönen Dinge durch den Kopf, die ich mit dieser Marke anstellen könnte: mich am Flughafen in jeder Schlange ganz vorne anstellen, kostenlos in alle Konzerte gehen, unhöfliche Teenager im Bus erschrecken. Den Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. »Kann ich die behalten?«
Nickels lacht. »Du hast dich kein bisschen verändert.«
»Hab ich dir ja gesagt«, bestätigt Papa.
»Und warum nennt man dich Special Agent? Ist das nicht nur ein weiteres Beispiel für inflationär gebrauchte Berufsbezeichnungen?«
Die Fältchen um Nickels Augen sind immer noch da. »Das ist der Titel für einen Detective oder Ermittler.«
»Gibt es in jeder Bundesbehörde irgendwelche Spezialagenten?«
»So ziemlich.«
Ich denke kurz nach. »Und wo ist der Unterschied zwischen einem Spezialagenten und einem Geheimagenten?«
»Spezialagenten arbeiten bei jeder Bundesbehörde. Geheimagenten aber nur für Geheimdienste.«
Nickels nimmt die Park-Street-Bridge über den Meeresarm nach Alameda. Die Park Street ist eine Einkaufsstraße, gesäumt von Ladenhäuserfronten aus der Jahrhundertwende. Der gemächliche Inseltrott erweckt den Eindruck, als wäre jeder der Anwohner – sogar die in Anzügen und Krawatte – gerade erst aus einem Mittagsschläfchen erwacht.
»Unglaublich, es hat sich wirklich kaum etwas verändert«, sagt Nickels.
»Enttäuscht?«, frage ich.
»Erleichtert.«
»Wir sind zwar
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