Spittelmarkt
Stimme, und noch bevor ich den Kopf in die Richtung wenden konnte, aus der diese kam, fuhr sie fort: »Gewiss kann es geschehen, dass Doris und ich nicht einer Meinung sind. Aber in deinem Fall sind wir uns in unserem Urteil so einig, wie es selten der Fall ist.«
Plötzlich stand er in der Mitte des Raumes: so schlagartig, dass es mir vorkam, als sei er nicht durch die Tür gekommen, sondern aus dem Unsichtbaren über uns hereingebrochen.
Er war mit einem hellbraunen Trenchcoat bekleidet – und vielleicht war es gar derselbe Mantel, den er auf dem Foto trug, das seinerzeit im Gartenlokal aufgenommen wurde. Der breitkrempige Hut, den er nicht abgenommen hatte, warf tiefe Schatten über seine Gesichtszüge, dennoch konnte ich das Funkeln seiner eisblauen Augen sehen.
Nicht, dass er sich wirklich verändert hätte – es war nur eine kleine Nuance, die ich jedoch sofort bemerkte. Das Blau seiner Augen hatte etwas Metallisches bekommen, die markanten, ausgeprägten Züge wiesen weitaus härtere Konturen als früher auf, das Lächeln erfasste beinahe die schrecklichen Augen, ohne sich dort festsetzen zu können. Ein Wolf, wie er es immer gewesen war, dieses Mal hingegen betrat er die Bühne ungeniert ohne sein Schafsfell.
Ich rang um Fassung und versuchte, mir meine Erregung nicht anmerken zu lassen.
»Es ist mir gleichgültig, welche Meinung du hast«, sagte ich zu ihm. »Ich unternehme nicht den Versuch, dich zu bekehren. Bei einem Menschen in deiner Funktion dürfte das ohnehin zwecklos sein.«
Er hatte uns wahrscheinlich seit Längerem belauscht, ging es mir durch den Sinn. Ich hatte mit seinem Erscheinen irgendwann gerechnet und hatte es in Kauf genommen, dass er unser Gespräch mitbekam. Trotzdem war mir nun so, als hätte ich ohne sein Erscheinen noch eine winzige Chance gehabt, mit Doris ins Reine zu kommen; eine Chance, die es von diesem Moment an nicht mehr gab.
Rudolf Mantiss trat an den Tisch. »Gut, dass du endlich weißt, wer ich bin«, begrüßte er mich, »es hat ja lange genug gedauert, bis du es herausgefunden hast.«
Er nahm den Hut ab und zog den Mantel aus, legte beides über einen Stuhl, setzte sich dann in den Sessel seitlich von mir – wieder dorthin, wo er auch bei meinem letzten Besuch gesessen hatte.
»Es war ein Zufall«, entgegnete ich, »es hat nur so lange gedauert, weil es mich gar nicht besonders interessiert hat. Deutschland hat ein reiches Vereinsleben – ob du nun der Vorsitzende eines Gesangsvereins oder eines Okkultistenverbandes bist, hat für mich ungefähr dieselbe Bedeutung.«
Mantiss verzog keine Miene. »Vielleicht liegt der Tag nicht mehr fern, an dem du verstehen wirst, worin der Unterschied zwischen dem Vorsitzenden eines Gesangsvereins und mir besteht«, erwiderte er. »Wenn er nicht bereits gekommen ist.«
»Du willst mir drohen? Mir, dem Bruder deiner Frau?« Ein Bluff, eine Art Flucht nach vorn. Mein Versuch, die Angst zu überspielen, beflügelte das Bewusstsein, noch in dieser Nacht aus Berlin und meiner angestammten Umgebung zu verschwinden. Dennoch war mir klar, dass Rudolf Mantiss ein gefährlicher Gegner war, und dass er noch weniger als meine Schwester Rücksicht auf verwandtschaftliche Bande nehmen würde. Aber ich hatte keine andere Wahl, denn einen kleinlauten Rückzug hätten sie mir nicht abgenommen. Mir blieb nur eine Möglichkeit. Wenn ich irgendetwas bewegen wollte, musste ich in die Offensive gehen.
»Du kannst dir sicher sein, dass ich deinen Fall nicht anders beurteile als mein Mann«, erklärte Doris mit einem kalten Lächeln. »Ich lege bestimmt nicht mein Wort für dich ein. Dir ist nicht zu helfen, für Leute wie dich ist kein Platz mehr in diesem Land.«
Der Pharao und seine Pythia! Das böse Pärchen, das der Loge der ›Brüder und Schwestern‹ vorstand, in dessen Händen die Führung dieser fürchterlichen Gesellschaft und die Geschicke seiner Mitglieder lagen, die verantwortlich dafür waren, was mit Florence und dem kleinen Professor geschehen war.
»Es war alles eure Idee«, sagte ich, während ich fühlte, dass ich blass geworden war. »Ihr wart es, die mich auf die Reise nach New York befohlen und mir vorher die beiden Schläger auf den Hals gehetzt habt, damit alles von Anfang an in eurem Sinne verlief. Ihr habt das alles befohlen!«
»Du hattest mehr Chancen als jeder andere, Eugen«, höhnte Rudolf Mantiss, »und hast sie alle in den Wind geschlagen. Dein Pech! Ich habe dich für klüger gehalten, doch egal, du bist
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