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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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Freundin hat das Vertrauen von Florence in der denkbar gemeinsten Weise ausgenutzt.«
    Seine Augen waren auf das Gesicht der Toten gerichtet, als könnte er nicht mehr von dem Bilde lassen, das ihm der stetige Vorwurf seines Versagens war.
    »Ich machte mir die allerschönsten Hoffnungen, sowie sie mit mir in ein Zimmer ging«, sagte er. »Wir tranken etwas, und bald, nachdem ich mit ihr angestoßen hatte, wurde mir speiübel. Es war wie bei einer Kreislaufschwäche. Ich bin ohnmächtig geworden. Sie muss mir irgendwelche Substanzen in das Getränk gemischt haben. Über eine Stunde benötigte ich, um wieder zu mir zu kommen, und zurück auf der Party fand ich Florence nicht mehr; auch Ihre schöne Freundin und Sie waren nicht mehr da. Ein Gast verriet mir, dass Florence gemeinsam mit Irene die Wohnung verlassen hatte. Ich machte mich auf die Suche und entdeckte schließlich Florence tot in ihrer Wohnung.«
    Er blickte auf seine Uhr. »Es ist fünf Uhr! Ich muss ein Telefongespräch führen, Sie bleiben so lange hier! Bob wird auf Sie aufpassen.«
    Shannon verließ den Raum. Mir selbst blieb nichts übrig, als ein stilles Gebet für meine tote Freundin zu sprechen und die Minuten, in denen ich allein war, dafür zu nutzen, um von ihr Abschied zu nehmen. Während ich das im Tode gelöste Gesicht von Florence betrachtete, schien mir, dass Shannon mit dem, was er eben gesagt hatte, der Wahrheit wohl sehr nahe gekommen war. Die Frage, ob Florence das Gift freiwillig genommen hatte oder nicht, würde niemand außer den unmittelbar daran Beteiligten mehr beantworten können. Florence war tot, und man würde Irene und ihrem unbekannten Liebhaber, selbst wenn man beider habhaft würde, kaum einen Mord nachweisen können. Ein Umstand, der für die moralische Schuldfrage freilich ohne Bedeutung war.
    Es gab hingegen noch eine andere Frage, die unheimlich am Rande meines Bewusstseins aufkeimte – die Frage nämlich, ob Shannon mit seinem gewaltsamen Eindringen in das Hotelzimmer nicht unwissentlich auch mir selbst das Leben gerettet hatte. Geradezu im letzten Moment, zu einem Zeitpunkt, als sich mein eigener Kopf bereits in einer von Irene geknüpften Schlinge befand. Hätte das Fesselspielchen, mit dem wir in meinem Zimmer begonnen hatten, für mich genauso geendet wie für meine ehemalige Geliebte, die ich jetzt im Tode vor mir liegen sah, wenn Shannon nicht dazwischengetreten wäre? Dieser unbekannte Liebhaber – hatte er draußen auf dem Gang in der Nähe meines Hotelzimmers darauf gelauert, dass Irene ihn einließ, nachdem ich gefesselt und wehrlos war? Musste ich demgemäß Shannon dankbar dafür sein, dass der Kelch der höchsten sexuellen Erfüllung im Liebesspiel mit Irene Varo an mir vorübergegangen war?
    Fünf Minuten vergingen, dann kehrte Shannon in das Zimmer zurück. »Ich habe gerade mit Warburg gesprochen und ihm berichtet, was geschehen ist«, sagte er. »Er will umgehend in die Stadt kommen. Ich habe ihm nicht gesagt, dass Sie hier sind, denn das ist besser für Sie – und auch für mich! Ich muss Sie warnen! Sollte er Sie hier noch antreffen, müssen Sie sich auf Einiges gefasst machen. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich schleunigst das Weite suchen!«
    »Ich habe keinen Grund, mich aus dem Staub zu machen«, entgegnete ich. »Ich habe nichts Unrechtes getan. Und wenn das stimmen sollte, wessen Sie Irene Varo verdächtigen – dann bin ich genauso auf diese Frau hereingefallen wie Sie, Mr. Shannon. Demnach habe ich mir genauso viel oder wenig vorzuwerfen wie Sie. Und das will ich Mr. Warburg gern selbst erklären.«
    »Sie sollten lieber darauf verzichten, Mr. Goltz«, empfahl mir Shannon. »Ich weiß nicht genau, warum Sie mir so sympathisch sind und warum ich versuche, Ihnen zu helfen. Dennoch, ganz unabhängig davon, wessen Schuld sich hier beweisen lässt, bleibt die Tatsache, dass Florence einen mysteriösen Tod gefunden hat, sobald Sie aufgetaucht sind. Es steht demnach fest, dass wir alle zu Recht Florence davor gewarnt haben, sich mit Ihnen zu treffen. Der schlimmste Fall ist eingetreten – und Sie können mir gern glauben, dass die Leute, deren Interessen ich vertrete, versuchen werden, Sie dafür in Haft zu nehmen, zumal es niemand anderen gibt, der die Rolle des Sündenbocks spielen kann, nachdem Sie selbst geholfen haben, die wahrscheinlich Schuldige der Bestrafung zu entziehen. Ich glaube Ihnen durchaus, dass Sie persönlich kein Vorwurf trifft, doch das wird Ihnen nichts nutzen!

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