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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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erholte, nahm ich den Umschlag, den mir Florence vor ihrem Tod übergeben hatte, zur Hand.
    Das darin enthaltene Dokument, das Arnheim als den Brief eines ausländischen Partners bezeichnet hatte, erregte sofort mein Interesse. Es war ein mit Maschine geschriebener Brief, der auf den 4. Mai 1932 datiert war und von einem religiösen Oberhaupt der chinesischen Buddhisten stammte, einem Abt namens Ta Lin Szu.
    Der Brief war gerichtet an den Führer der nationalsozialistischen Partei Deutschland, Herrn Adolf Hitler.
    ›Die wissenschaftliche Zivilisation unserer Zeit ist getragen von der arischen Rasse‹, hieß es in dem Text. ›Die religiöse Kultur der Vergangenheit aber hat ihren Höhepunkt im Buddhismus, der die Erkenntnisse der Naturwissenschaft in sich aufgenommen hat. Daher ist er berufen, die Religion der Völker Europas und Amerikas zu werden. Ich meine, dass das germanische Volk, wenn es unter einem Führer geeint ist, in wunderbarer Weise geeignet wäre, die Tugenden des Buddhismus zu entwickeln. Wenn der Führer der großen nationalsozialistischen Partei die buddhistische Religion studieren will, so bitte ich mir zu schreiben, und ich will gern antworten, so viel ich weiß. Auch bei der Suche nach der arischen Urreligion werden wir Ihnen gewiss helfen können. Seien Sie gewiss, dass, wenn die Zeit erfüllt ist, die alten Götter wiederkehren und die Geister der Vorwelt ihr Amt antreten. Dann brechen die Ordnungen der Völker. Was hoch ist, fällt, und die Tiefe kommt herauf. Die Toten eines großen Krieges werden die Märtyrer eines neuen Glaubens sein. Ich wünsche Ihrer Partei furchtlose Festigkeit!
    Gezeichnet: Das Oberhaupt der Buddhisten in China.‹
    Darunter war mit der Hand der Name des Verfassers in chinesischen Schriftzeichen gesetzt.
    Das Dokument machte den Eindruck, echt zu sein. Der chinesische Abt mochte einen deutschen Berater besitzen, der ihm bei der Abfassung des Schreibens zur Hand gegangen war. An sich war das Schriftstück kaum mehr als eine Grußadresse, wie sie selbst unter Staatsoberhäuptern ausgetauscht wurden, die einander nicht wohlgesonnen waren. Befremdlich wirkte nur der Hinweis auf einen großen Krieg. Das Brisante war, dass es sich um ein Originaldokument handelte, das sich nicht im Besitz desjenigen befand, dem es der Empfängeranschrift nach gehörte. Wie es in Arnheims Besitz gelangt war, darüber konnte ich nur spekulieren.
    Ich schob den Umschlag in die Jackentasche zurück, bezahlte Kaffee und Kuchen und setzte meinen Rundgang durch Manhattan fort. Ich fand ein weiteres Museum, in dem ich ein paar Stunden verbrachte. Sowie ich es verlassen hatte, herrschte in New York Dunkelheit. Ich stieg in ein Taxi, ließ mich zurück zum Hafen fahren und holte meinen Koffer aus der Aufbewahrung.
    Das Schiff lag abfahrbereit am Kai. Über eine schwindelerregende Hängebrücke, die über Bohlenwände, Treibgut und Auslassöffnungen hinwegführte, gelangte ich an Bord des Dampfers und tauchte dort in die verführerische Wärme von Holzverkleidungen, elektrischem Licht und der Fürsorge von Stewards und Schiffspagen ein.
    Mitternacht war für die großen Ozeanliner die günstigste Zeit, um in See zu stechen. Das hell erleuchtete Schiff, auf dem sich Menschen in Abendkleidung drängten, bot einen romantischen Anblick, und die Tanzveranstaltungen in der Lounge hatten offenbar schon lange vor dem Auslaufen begonnen. Die allgemeine Fröhlichkeit war ansteckend. Auch mich ergriff trotz der düsteren Gedanken, die mich seit dem Morgen verfolgten, ein Gefühl von Losgelöstheit, besonders in dem Moment, als ich mich vom Bootsdeck aus den betörenden, farbenprächtigen Lichtern der City von New York gegenübersah, deren Wirkung wegen der durch die Dunkelheit gesteigerten Höhe gegenüber dem Festland eindrucksvoller erschien denn je.
    Der hypnotische Reiz der Abschiedsstimmung, die sich über das Schiff gelegt hatte, machte es den Besuchern schwer, sich vom Schiff loszureißen, selbst dann, als das aus vielen Hörnern gleichzeitig ertönende Signal mehrfach zu hören war, das alle Fremden an Bord dazu aufrief, an Land zu gehen. Das letzte Tuten hingegen, das um Mitternacht erscholl und sämtliche noch an Bord verbliebenen Besucher veranlasste, eilig nach den Ausgängen zu suchen, war markerschütternd und von anderer Art. Kaum lauter, aber länger und von einer aufregenden, endgültigen Kadenz, ein Klang, in dem sich die ganze Geschichte von Abschied, Sehnsucht und Verlust vereinte.
    Endlich

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