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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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Sie wären nicht der erste Unschuldige, der für jemand anderen büßen müsste. Mein Rat, Mr. Goltz, ist ernst gemeint: Verlassen Sie New York – und am besten sogar Amerika! Je länger Sie hier sind, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Unannehmlichkeiten bekommen werden. Mr. Warburg ist ein einflussreicher Mann. Er wirkt äußerlich wie ein konzilianter Herr, aber es kostet ihn nur einen Anruf bei einem seiner Richterfreunde, um Sie ganz offiziell verhaften zu lassen. Und was mit Ihnen passiert, wenn Sie hier erst einmal in einem unserer schönen Gefängnisse sitzen – nein, wenn ich Sie wäre, würde ich mir diese Erfahrung lieber ersparen.«
    Shannon sah wieder zu Florence hinab, als hätte er seinen Worten nichts, aber auch gar nichts mehr hinzuzufügen, und dann stand er da, wie in Andacht versunken. Der harte New Yorker Geschäftsmann und Barbesitzer war vollständig von ihm abgefallen, seine Anteilnahme am Tod von Florence war zweifellos echt. Wer auch immer dieser Mann in seinem tiefsten Innern war – ob Barbesitzer, Gangster oder ein Helfer der Schwachen – ich war mir sicher, dass ich dem Mann einiges zu verdanken hatte. Während ich ihn betrachtete, begann ich zu begreifen, dass ich wohl gut daran täte, auch seinem letzten Ratschlag zu folgen. Florence war tot, mein Auftrag beendet. Ich hatte hier nichts mehr verloren. So zögerlich, wie ich eben noch gewesen war, so schnell fasste ich nun meinen Entschluss.
    »Vielen Dank, und Ihnen alles Gute, Mr. Shannon«, sagte ich leise, »ich glaube, Sie haben recht. Ich werde gehen und nicht wiederkommen. Nochmals vielen Dank für alles, was Sie für mich getan haben!«
    Shannon blickte kurz her und nickte mir zu, dann murmelte er leise: »Gute Reise! Kommen Sie gut nach Hause. Und seien Sie auf der Hut! Nicht nur hier, sondern auch dort drüben in Europa, in Ihrer Heimat! Mir scheint, dass die Welt aus den Fugen gerät – und es liegt vielleicht daran, dass sie in den letzten Jahren so verdammt klein geworden ist.«
    Ich warf einen letzten Blick auf Florence, drehte mich fort, ging aus dem Zimmer und verließ zügig das unheimliche Haus.
    Nachdem ich ins Plaza zurückgekehrt war, verlor ich keine weitere Zeit. Ich packte meinen Koffer, bezahlte das Zimmer und verließ das Hotel. Draußen ging ich zu Fuß einige Hundert Meter auf dem Bürgersteig der Fifth Avenue nach Norden und stieg erst dort in ein Taxi, damit man meine Schritte nach dem Verlassen des Hotels nicht allzu leicht nachvollziehen konnte. Ich wies den Fahrer an, mich zum Empire State Building zu bringen, wo ich den Wagen wechselte.
    Das monumentale Stadtzentrum und der Hafen lagen so dicht beieinander, dass dieselben Wolkenkratzer, die den Schiffen eine so malerische Kulisse boten, den Hafen von Land aus wirkungsvoll verbargen. Das Taxi schien noch mitten in der Stadt zu sein, als plötzlich und unerwartet die weißen Aufbauten eines Schiffes im morgendlichen Licht der Hafenbeleuchtung vor mir lagen, heimlich glitzernd und sich hoch über das Gewirr der Uferlinie Manhattans in den Himmel türmend; ich hatte selten einen so erhebenden Anblick wie diese unvermutete, dramatische Enthüllung erlebt.
    New York zügig zu verlassen, stellte sich überraschend leichter heraus, als ich angenommen hatte; das Schicksal stand meinen Plänen nicht im Weg. Ich musste eine Stunde warten, bis die Schifffahrtsagenturen öffneten, bereits in der zweiten Agentur, deren Räume ich betrat, gelang es mir, für ein italienisches Schiff, das am selben Abend nach Genua in See stechen sollte, die Passage eines Reisenden zu erwerben, der die Überfahrt kurzfristig hatte absagen müssen.
    Ich gab meinen Koffer in einer Gepäckaufbewahrung ab und machte mich dann zu einem letzten ganztägigen Streifzug durch Manhattan auf, wobei ich mir vornahm, die Gegend um das Plaza und den Central Park, und überhaupt die ganze Fifth Avenue zu meiden. Sollte es auch in dieser großen Stadt höchst unwahrscheinlich sein, dass man mich entdeckte, so wollte ich selbst doch dem Eintreten eines dummen Zufalls keinen Vorschub leisten.
    New York bot interessante Orte in Hülle und Fülle und mein letzter Tag in Amerika wurde mir nicht lang. Den Vormittag verbrachte ich in dem einige Jahre zuvor eröffneten Museum of Modern Art; anschließend unternahm ich einen ausgedehnten Spaziergang durch das Greenwich Village. Irgendwann am Nachmittag, sowie ich mich in einem kleinen Café bei Kaffee und Kuchen von meiner Besichtigungstour

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