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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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bewegte sich das Schiff und mit ihm wurde die berühmte Aussicht auf die hell illuminierte Stadt kleiner und kleiner. Es war wie ein Traum, auf der einen Seite schrecklich, auf der anderen Seite wunderschön. Mein Hals war ganz trocken, meine Augen fingen an zu glänzen und plötzlich war mir, dass der Mensch, der sich zu dieser nächtlichen Stunde dem Dunstkreis einer fantastischen Metropole entzog, ein anderer war als derjenige, der Deutschland vor erst zehn Tagen verlassen hatte.
    Die Fahrt durch den New Yorker Hafen ging zügig voran. Bald blieb das dunstige Glühen der Stadt in der Ferne zurück. Das Schiff passierte The Narrows, machte eine scharfe Wende nach Backbord und fuhr in den Kanal hinein, der geradewegs auf das Meer hinausführte und an dessen Ende das rote Feuerschiff lag. Der Lotse mit der restlichen Post unter dem Arm war der Letzte, der zu dem schwankenden Tender hinunterstieg, um das Schiff zu verlassen.

10
    An einem sonnigen Oktobermorgen lief der Ozeanliner in die Bucht von Genua ein und machte im alten Hafen im Schatten des berühmten Leuchtturms Torre della Lanterna fest.
    Ich nahm mir ein Hotel in der Nähe und lief zwei Tage in den mittelalterlichen Gassen herum, schaute mir die Kathedrale San Lorenzo, den alten Dogenpalast und die alten Befestigungsanlagen an, bevor ich am folgenden Tag in einen Zug stieg, der mich über die Alpen nach München brachte. Von dort aus erreichte ich in einer Samstagnacht den Anhalter Bahnhof in Berlin.
    Am Montagmorgen war ich wieder in meiner Kanzlei.
    Dort wartete schon ein Mandant auf mich, der wohl irgendwie gerochen hatte, dass ich wieder im Lande war. Haller, mein Sozius, begegnete mir auf dem Flur; er hatte es eilig, weil er zu einem Gerichtstermin musste, und schüttelte mir nur kurz die Hand. Die hagere Frau Schmitz, unsere Sekretärin, war mit dringenden Stenogrammdiktaten beschäftigt. Es war wie an jedem Montag, und nicht anders, als wäre ich von einer Sommerfrische an der Ostsee oder einer Erholungsreise in den Harz an meinen Schreibtisch zurückgekehrt.
    Immerhin erfuhr ich von Frau Schmitz, dass die Nachricht von Florence’ Tod meiner Rückkehr nach Deutschland vorausgeeilt war. Sie murmelte etwas von einem Telegramm, das unser Mandant Philipp Arnheim aus Amerika erhalten hätte. »Es hieß darin, sie hätte Gift eingenommen«, erklärte sie mit bedeutungsschwangerem Blick.
    Erst gegen Abend hatte ich Gelegenheit, mich mit Haller über meine Reise zu unterhalten. Ich gab ihm einen groben Überblick über meine Erlebnisse, soweit sie ihn etwas angingen, und fragte ihn im Anschluss daran, wie Arnheim die Todesnachricht aufgenommen hatte.
    »Er betrachtet den Fall als erledigt und hat um Übersendung der Rechnung gebeten«, antwortete Haller. »Er soll sie auch schnell bekommen – wir können das Geld gut gebrauchen!« Er hielt eine brennende Zigarre zwischen den Fingern, deren Rauch er vor sich aufsteigen ließ, sodass dieser seine kleinen bebrillten Augen mit einem dicken Dunstschleier belegte.
    »Weiter nichts? War er erleichtert? Der Tod von Florence hat ihm immerhin einen Haufen Geld erspart.«
    Haller runzelte die Stirn. »Wie können Sie so etwas auch nur denken? Ihr Tod hat ihn erschüttert. Er wird sich bald bei Ihnen melden, um sich nach den Einzelheiten Ihrer Begegnung mit Florence zu erkundigen. Sagen Sie nichts Unüberlegtes, wenn Sie mit ihm sprechen. Sie wissen – er ist ein wichtiger Mandant!«
    »Ich werde mich schon zu benehmen wissen. Hat er eine Meinung darüber, weshalb Florence Selbstmord beging?«
    Haller zuckte mit den Achseln. »Florence hatte in Amerika einfach die falschen Freunde«, sagte er. »Der Halt, den sie bei uns besaß, hat ihr dort drüben gefehlt!«
    »Florence war der Ansicht, dass ihre falschen Freunde in Berlin säßen. In ihrem New Yorker Umfeld war man entsetzt über das, was geschehen ist. Man hat mir geraten, schnell abzureisen, sonst würde ich große Unannehmlichkeiten bekommen. Der Gedanke, meine Ankunft in New York und der Freitod von Florence könnten miteinander in Verbindung stehen, schien für die Leute nicht so abwegig zu sein.«
    Haller setzte für einen Moment die Brille ab. »So ein Blödsinn! Natürlich können Sie nichts dafür! Florence hätte so oder so getan, was sie tat – auch wenn Sie nicht zu Besuch gekommen wären. Das ist auch Arnheims Meinung. Aber was erwarten Sie? Irgendwem müssen sie die Schuld ja geben. Und da bietet sich natürlich der Ehemann an, wenn der allerdings

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