Spittelmarkt
nach dem Grundsatz: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Du hast genau drei Minuten, mein Täubchen! Sprich dein letztes Gebet, wenn du meinst, dass es dir hilft!«
Er gab seinem Begleiter ein Zeichen. »Wir wollen keine Zeit verlieren, Bob!«
Irene gab keine Antwort, sondern warf mit einer eleganten Bewegung den Kopf zur Seite. Sie richtete den Blick zum Fenster, hinaus zu den Sternen, die an dem nachtdunklen New Yorker Himmel standen.
Shannons Begleiter begutachtete prüfend den Gummistrick, indem er mehrfach daran zog, dann nickte er zufrieden. »Der hält!« Er griff nach dem Stuhl, der vor der Kommode stand, und stellte ihn in die Mitte des Zimmers.
Ich war wie vor den Kopf gestoßen, ob der Nachricht, die Shannon verkündet hatte; wesentlich größer hingegen war meine Befürchtung im Hinblick auf das, was nun folgen würde.
Ich ahnte das Schlimmste. »Was soll denn das, Mr. Shannon? Sie werden ihr doch nichts tun!«
Shannon sah mich eiskalt an. »Was mit Ihnen geschieht, Mr. Goltz, muss ich mir noch überlegen! Wenn ich Sie mir beide so ansehe, kommt mir der Gedanke, dass Sie ja ein ganz reizendes Pärchen sind. Stecken Sie mit ihr unter einer Decke, Mr. Goltz? Sie sollten nicht zu sehr Partei für Ihre schöne Freundin ergreifen! Ich könnte sonst auf den Gedanken kommen, Sie zusammen mit Ihrer Freundin aus dem Leben scheiden zu lassen. Ein Doppelselbstmord eines Pärchens im Plaza wird den hiesigen Zeitungen allenfalls einen Dreizeiler wert sein – wenn überhaupt!«
Shannons Bodyguard war auf den Stuhl gestiegen und hatte den Gummistrick durch eine Öse in der Deckenhalterung der Lampe geschoben. Nun stieg er hinunter und band das Ende des Gummistricks an dem Wandheizkörper fest, sodass das andere Ende, wenn man den Stuhl bestieg, in Kopfhöhe von der Decke hing. Er ergriff dieses Ende und knöpfte daraus in aller Seelenruhe eine Schlinge.
»Sind Sie verrückt geworden, Shannon?«, rief ich. »Was ist in Sie gefahren? Er soll damit aufhören! Lassen Sie das sein!«
Shannon richtete den Blick von mir auf Irene und starrte sie hasserfüllt an. »Sie hat Florence umgebracht!«
Ich wusste im ersten Moment nicht, was ich sagen sollte. »Aber – wie? Das ist gar nicht möglich!«, entfuhr es mir dann. »Sie war doch hier!«
Wo war nur der Rest meiner Kleider? Ich blickte mich um und sah meine Armbanduhr, die neben dem Bett auf dem Nachtschränkchen lag. Es war kurz vor vier. »Ich habe Florence noch vor drei Stunden gesehen – und da hat sie gelebt.«
»Ja«, sagte Shannon eiskalt. »Allerdings ist sie vor ein oder zwei Stunden gestorben!«
»Wie ist sie denn gestorben?«
»Sie wurde vergiftet oder erdrosselt, vielleicht auch beides. Die genaue Todesursache steht noch nicht fest.«
»Sie wissen es demnach nicht genau! Was hat denn Irene damit zu tun?«
»Sie hat ihr das Gift in ein Getränk getan – und sie später erdrosselt.«
»Das behaupten Sie! Woher wollen Sie denn wissen, ob es stimmt?« Ich überlegte fieberhaft. »Florence könnte das Gift freiwillig getrunken haben.«
»Könnte sie – hat sie aber nicht!«
Shannon hatte Irenes Kleid entdeckt, nahm es und hielt es ihr hin. »Zieh es an, wenn du magst!«
Sie nahm das Kleid und warf es auf das Bett.
»Was Sie da erzählen, ist kompletter Blödsinn«, fuhr sie Shannon mit schriller Stimme an. »Sie haben nichts weiter als eine blühende Fantasie!«
Ohne ein weiteres Wort trat er hinter sie und erfasste ihre beiden Arme mit einem eisernen Griff. »Auf den Stuhl!«, rief er wütend und stieß sie in Richtung der Schlinge. Sein Kumpan gab ihm Hilfestellung und schon einen Augenblick später hatten sie die nackte Schöne auf den Stuhl gehoben und ihr die Schlinge um den Hals gelegt.
Irenes Gesicht war bleich geworden, allerdings wirkte sie dennoch gefasst. Sie blickte erneut zu dem Fenster und suchte anscheinend Halt bei den Sternen am Himmel, doch dann wandte sie ruckartig den Kopf zu Shannon herum und spuckte ihm mitten ins Gesicht.
»Jeder Traum geht einmal zu Ende«, ließ sie sich vernehmen und hatte plötzlich einen wild entschlossenen Ausdruck in ihrem Gesicht. »Also tu, was du nicht lassen kannst!«
Shannon wischte den Speichel mit dem Ärmel seiner Jacke von der Wange und machte eine Bewegung, als ob er den Stuhl unter ihr wegziehen wollte – und in diesem Moment sprang ich vor und fiel ihm in den Arm.
»Mr. Shannon, was Sie da sagen, kann überhaupt nicht stimmen, Irene ist seit – seit beinahe zwei Stunden hier bei mir in
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