Spittelmarkt
Entscheidende! Die erste und eigentliche Empfehlung, die Preuß erhielt, kam aus Ihrer Familie – von Ihrer reizenden Schwester.«
Ich starrte ihn an. »Wie? Von Doris?«
»Soviel ich weiß, haben Sie nur die eine Schwester.«
Ich sagte nichts mehr. Diese Nachricht musste ich erst einmal verdauen.
»Welche Verbindung bestand denn zwischen Preuß und meiner Schwester?«, äußerte ich mich endlich.
Haller zog an seiner Zigarre. »Die gleiche Verbindung, die zwischen Preuß und mir bestand. Ihre Schwester gehört zu unserer Gesellschaft.«
Schattenhafte Streifen der Vergangenheit griffen nach mir, und plötzlich lag nicht nur die Verbindung zwischen Haller und mir, sondern auch die zwischen Doris und Florence Arnheim offen und in all ihren Verästelungen vor meinen Augen. Diese Verästelung war zugleich die Verbindung zu etwas Altem, zu Erlebnissen, die Doris und ich miteinander teilten, Erlebnisse, von denen ich nichts mehr hatte wissen wollen. Doch nun musste ich einsehen, dass es mir genauso erging, wie es sich immer in solchen Fällen ereignet: Irgendwann und irgendwie fand das, was man nicht mehr hatte wissen wollen, auf verschlungenem Wege wieder zu einem zurück.
»Gibt es außer Doris und Florence noch andere Frauen in Ihrer Gesellschaft?«
Er grinste. »Wir hießen wohl kaum die ›Gesellschaft der Brüder und Schwestern‹, wenn dem nicht so wäre.«
»Wie lange ist Doris denn schon Ihre Schwester?«
»Schon immer«, verkündete Haller, »will heißen, länger als ich ein Bruder bin. Bei mir sind es inzwischen bald 13 Jahre.«
»Vermute ich richtig, dass Sie selbst durch Preuß zu den ›Brüdern und Schwestern‹ gekommen sind?«
Dicker Rauch vernebelte jetzt Hallers Gesicht und bildete eine Art Schutzwall zwischen uns. »Ja!«, sagte er. »Preuß hat mich in die Gesellschaft eingeführt.«
»Und nach seinem Tod haben Sie dann Arnheim als Mandanten von Preuß übernommen?«
»So läuft das eben – damals war Arnheim zwar ein junger Mann, gehörte aber bereits zu den höheren Chargen der Bank.«
»Was Wunder, dass ich selbst noch kein Mitglied der Gesellschaft bin!«
Haller nickte und verbreitete weiterhin seinen giftigen Nebel. »Ich bin selbst darüber erstaunt, dass ich es in all den Jahren nicht unternommen habe, Sie auf eine mögliche Mitgliedschaft anzusprechen.«
»Angenommen, Sie hätten es getan: Mit welchen Argumenten hätten Sie versucht, mich zu überzeugen? Warum sollte mir an einer Mitgliedschaft gelegen sein?«
Haller legte die Zigarre beiseite, stand auf und öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen.
»Ach, Goltz«, seufzte er, indem er sich zu mir umdrehte, »muss man Ihnen denn alles erklären?« Er warf mir einen Blick zu, der so etwas wie eine nachsichtig-freundliche Missbilligung enthielt.
Draußen war es dunkel und wie aus weiter Ferne drangen die Geräusche des abendlichen Stadtlebens herauf, und während Haller am Fenster verharrte, lichtete sich langsam der Nebel über seinem Schreibtischstuhl.
»Das wichtigste Argument wäre gewesen, dass Sie gewissermaßen bereits zu uns gehören«, sagte er. »Das sollte Ihnen eigentlich klar sein.«
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Nun –«, setzte Haller an, »Sie werden doch Ihre Jugend nicht vergessen haben. Ebenso wenig wie Ihre reizende Schwester das getan hat.«
Die Schatten der Vergangenheit griffen nach mir und riefen ein Gefühl tiefen Unwillens in mir hervor.
»Was hat Ihnen Doris über unsere Jugend erzählt?«
Hallers kleine Augen ruhten auf mir. »So eng vertraut bin ich mit Ihrer Schwester nicht, dass sie mich in all ihre Geheimnisse eingeweiht hätte. Aber man hört – Sie werden sich schon denken können, was ich meine.«
»Ich weiß überhaupt nicht, was Sie meinen!«
Haller hob beschwichtigend die Hände, schloss das Fenster und kehrte an den Schreibtisch zurück.
»Mich geht das alles nichts an«, sagte er und lächelte. Obwohl er so unbeteiligt tat, erschien er wie von dem Bewusstsein erfüllt, ein paar Dinge klargestellt und dadurch seine Welt wieder ins Lot gerückt zu haben.
»Warum ist Doris in dieser Loge?«
»Das könnten Sie mich genauso gut fragen.«
»Dann frage ich Sie: Was hat diese Loge für einen Zweck?«
Haller zerquetschte im Aschenbecher den glimmenden Stummel der Zigarre. »Wir bereiten den Weg, das Volk mit einer uralten, aber in Vergessenheit geratenen germanischen Mythologie wieder vertraut zu machen, mit einer Mythologie, die das deutsche Volk vereinigen und aus
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