Spittelmarkt
nicht greifbar ist, muss sein Anwalt herhalten.«
»Sind Sie sicher, dass mich Arnheim wirklich aus keinem anderen Grund nach Amerika geschickt hat, als demjenigen, die Modalitäten seiner Scheidung zu regeln?«
Haller zog die Augenbrauen hoch. »Worauf wollen Sie hinaus, Goltz? Haben Sie vergessen, dass es Florence selbst gewesen ist, die diese Reise gewünscht hat und mit Ihnen sprechen wollte?«
»Sie erinnern sich gewiss des Tages, da wir drei genau an dieser Stelle zusammensaßen und Arnheim und Sie auf mich eingeredet haben, diese Reise zu machen. Schon damals hatte ich das komische Gefühl, dass Ihr Freund nicht alle Karten auf den Tisch gelegt hat. Im Nachhinein musste ich mich fragen, ob nicht auch Sie – jedenfalls einige von den Karten kannten, ohne sie mir gegenüber aufzudecken.«
»Trauen Sie mir ernstlich zu, dass ich meinen Mitarbeiter in einer Weise täusche, wie Sie es geneigt sind, mir zu unterstellen?«, erwiderte Haller und legte einen entrüsteten Ausdruck in seine bebrillten Augen, der wenig überzeugend wirkte.
»Ich stehe Ihnen nicht so nahe wie Arnheim. Er ist Ihr Logenbruder! Das könnte die Gewichte anders verteilt haben, als es der gewöhnlichen Erwartung entspricht.«
Haller lächelte. »Florence hat Ihnen demzufolge von unserer Gesellschaft erzählt? Was hat sie denn gesagt?«
»Wenn ich sie richtig verstanden habe, hatte sie Angst davor, aufgrund ihres Austritts aus der Loge zur Rechenschaft gezogen zu werden.«
Haller machte eine wegwerfende Handbewegung mit der qualmenden Zigarre. »Und deshalb denken Sie nun, Arnheim habe in Wahrheit den Tod seiner Ehefrau bezweckt, als er Sie zu ihr schickte? Aber hallo! Unsere Loge ist eine spirituelle Gemeinschaft und keine Verbrecherbande, Herr Goltz!«
»Warum konnten Sie den Austritt von Florence aus der Loge nicht akzeptieren?«
»Sie ist nicht ausgetreten, sondern einfach gegangen. Niemand hat sie aus ihrer Mitgliedschaft entlassen.«
»Eintritt und Austritt sind frei, alles andere ist Pflicht – so funktionieren doch normalerweise Vereine. Bei Ihrem Verein ist das anscheinend anders.«
»Wir sind weder im Vereinsregister eingetragen, noch sind wir nach unserem Selbstverständnis ein Verein«, erwiderte Haller scharf. »Wir verstehen uns als Angehörige eines deutschen Ordens, des Germanenordens. Eine Gesellschaft wie die unsrige verlässt man nicht – wie irgendeinen Verein! Bei uns ist Treue Pflicht! Leider scheinen immer weniger Menschen in diesem Lande zu wissen, was Treue bedeutet.«
»Und was passiert, wenn jemand Ihrer Gesellschaft untreu wird, obwohl es nicht vorgesehen ist?«
Haller lächelte. »Wir werden ihn nicht unbedingt in angenehmer Erinnerung behalten, aber wir tun ihm nichts – da kann ich Sie beruhigen! Wenn jemand eine Gemeinschaft verlässt, der er die Treue geschworen hat, so wird sein Treuebruch ohnehin nicht folgenlos für ihn bleiben. Ich mag also nicht ausschließen, dass Florence’ Freitod so gesehen eine Folge ihres Treuebruchs war. Jeden erwartet das Schicksal, das er sich selbst bereitet.«
Auf der Rückreise von Amerika hatte ich reichlich Zeit gehabt, mein Verhältnis zu Haller zu bedenken. Vor sechs Jahren, als ich sein Mitarbeiter wurde, hatte ich ihn fast gar nicht gekannt. Eines Tages hatte er mich auf dem Gerichtsflur in ein längeres Gespräch verwickelt und mir am Ende eine gut bezahlte Stelle in seiner Kanzlei angeboten. Preuß, sein damaliger Seniorpartner, war kurz zuvor verstorben und er brauchte jemanden in seinem Geschäft zur Unterstützung. Ich hatte nicht lange Bedenken getragen, der Kanzlei, in die ich nach dem Examen auf Vermittlung eines schlesischen Onkels eingetreten war, den Rücken zu kehren, und schon zwei Jahre darauf hatte Haller mich zu seinem gleichberechtigten Partner gemacht.
»Weshalb haben Sie mir im Jahr 1926 nach dem Tode von Preuß die Mitarbeit angeboten? Sagen Sie nicht, dass Sie es taten, weil ich ein guter Jurist bin. Wir kannten uns praktisch nicht – wie sind Sie ausgerechnet auf mich gekommen?«
Haller brannte sich seine ausgegangene Zigarre wieder an und fixierte mich durch den neuerlich aufsteigenden Qualm hindurch.
»Preuß hatte den Gedanken, Sie könnten der richtige Mann für uns sein«, sagte er. »Er wollte sich zur Ruhe setzen und hielt seit geraumer Zeit die Augen nach einem weiteren Mann und späteren Nachfolger für uns Ausschau. Von mir erfuhr er, dass Sie fachlich geeignet sind, aber das – Sie haben recht – war nicht das
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