Spitze Buben
Aufwartung zu machen. Die meisten standen mit einem Bein in der Wirklichkeit. Manche waren scheu wie Mäuse. Ein Blick genügte, und sie flüchteten. Wieder andere ... Einige waren hier vielleicht so fehl am Platz wie ich, nur daß sie in die Station mit den gemeingefährlichen Fällen gehörten.
Ich wünschte, sie würden mich in Ruhe lassen.
Jeder Zweifel an der Ungesetzlichkeit meiner Einlieferung verschwand, als ich feststellte, daß sie meine Taschen tatsächlich nicht geleert hatten. Wäre es bei meiner Einlieferung mit rechten Dingen zugegangen, wäre all dies verschwunden und nie wieder aufgetaucht.
Das ermutigte mich. Jedenfalls ein winziges bißchen.
Die Einrichtung selbst munterte einen nicht besonders auf. Die Station war etwa dreißig Meter breit, hundert Meter lang und zwei Stockwerke hoch. Es gab endlose Reihen von Strohlagern, aber längst nicht genug für alle.
Die Decke war hoch, etwa sieben Meter über uns. An der Wand gegenüber der Eingangstür gab es Fenster. Sie waren weit oben und viel zu klein, als daß ein Mann sich hätte hindurchzwängen können, selbst wenn es ihm gelungen wäre, die Stangen durchzusägen. Vermutlich spendeten sie am Tage Licht. Im Moment kam das dämmrige Licht durch weit oben angebrachte Fenster an der Seite der Tür, durch die das Krankenhauspersonal die Insassen der Station beobachten konnte.
»Wie geht's? Ich bin Efeu.«
»Mir geht's gut, Efeu. Was hältst du davon, wenn du und ich dieser Kloake den Rücken kehren?«
Efeu sah mich direkt an, zuckte zusammen und humpelte eilig davon.
»Hat zufällig irgend jemand Lust, auszubrechen?«
17. Kapitel
Mein Vorschlag löste eine unterwältigende Reaktion aus. Vermutlich konnte man die eine Hälfte der Patienten nicht von ihrem Los befreien, und die andere Hälfte hielt mich ganz offensichtlich für verrückt. Na? Aber sicher doch!
Der Lange, der mich über Efeus Beschränktheit ins Bild gesetzt hatte, riß sich zusammen und kam zu mir. »Hier kommt man nicht raus, Schlaumeier. Sonst war' die Hälfte der Jungs längst verschwunden.«
Ich sah mich noch einmal um. Die Aussichten wurden immer mieser. »Füttern sie uns?«
Der Lange grinste. Es war das Lächeln von alten Kämpen, wenn sich ihnen die Chance bietet, ein Greenhorn vorzuführen. »Zweimal täglich, ob du hungrig bist oder nicht. Durch das Gitter da drüben.«
Ich sah hin und zuckte mit den Schultern. »Das Gitter« war ausbruchsicher. »Wenn die Lage so beschissen ist, lege ich mich lieber kurz aufs Ohr, bevor ich mir ernsthaft Sorgen mache.« Ich suchte nach einem freien Strohlager, um in Ruhe nachzudenken. Vor allem darüber, aus welchem Grund ich in diese Klemme geraten war.
Ich hätte schreien mögen, genauso laut, wie es einige dieser menschlichen Wracks taten, die mit mir hier festsaßen.
»Für ein Bett mußt du dich hinten anstellen«, erklärte der Lange. »Wenn du dich mit jemandem anfreundest, teilt er vielleicht sein Lager mit dir. Andernfalls mußt du warten, bis genug gestorben sind, damit eins für dich frei wird.« Seine lässige Art signalisierte mir, daß dies eins der wichtigsten ungeschriebenen Gesetze der Station war. Verblüffend. Eigentlich hätte man erwarten können, daß es hier nur ums nackte Überleben ging.
»Genau die Art Absteige, die ich liebe.« Ich machte es mir in der Nähe der Tür bequem. War offenbar keine besonders beliebte Wohngegend. Es gab reichlich Ellbogenfreiheit. Dann tat ich, als schliefe ich ein.
Auf der Station lagen keine Kadaver herum, und es gab auch keinen Leichengestank. Was nahelegte, daß die Angestellten die Toten rasch entfernten. Konnte ich mir das nicht in einem kühnen, einzigartigen und wahrhaft neuen Schwindel zunutze machen?
Der Gedanke an einen Aufstand war eine nähere Überlegung wert. Aber besonders erfolgversprechend erschien er mir nicht. Wäre ich Irrenhauswärter, würde ich die Leute so lange hungern lassen, bis der ganze Aufruhr an Kalorienmangel einging.
»Wie geht's? Ich bin Efeu.«
Ich wollte Efeu nicht zum Narren halten, sondern dachte darüber nach, ihn aus diesem Rattenloch zu holen.
Das brachte mich auf eine Idee. Wie wäre es mit einer Variation von einem Aufstand? Ich machte mich auf die Suche nach dem Langen. Er hockte an der gegenüberliegenden Wand. Nachdem ich meine Kehrseite auf den Holzboden gepflanzt hatte, knurrte ich: »Ich hab' genug Splitter im Arsch.«
»Laß dir doch 'nen Stuhl bringen.«
Was für ein Klugscheißer! »Wieso ist es so
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