Splitter
nicht die Lösung, sondern lieber die Ursache für die Alpträume seiner Mitmenschen werden wollte.
»Woher weißt du das?«, fragte Benny.
»Nun, ich habe mich oft gefragt, was mit dir nicht stimmt. Weshalb du so anders bist als dein Bruder, der keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen ist.«
Eddy rüttelte an einer verklemmten Schublade unter der Arbeitsplatte und zog sie mit einiger Mühe auf. »Ich meine, ich habe dich nie mit einer Braut gesehen. Also dachte ich, du bist schwul oder so. Doch dann habe ich das hier gefunden.«
Er nahm einen Zeitungsartikel heraus. »HSP«, las er laut. »Highly Sensitive Person. Umgangssprachlich auch als Mensch mit krankhafter hypersensibler Störung bezeichnet. Solche Menschen nehmen ihre Umwelt wesentlich stärker als normale Vergleichspersonen wahr. Sie spüren, fühlen, sehen, schmecken und riechen alles viel intensiver.«
Benny winkte ab. »Das ist alles Humbug.«
»Ach ja? Hier steht, früher waren HSPler Berater und Weise an den königlichen Höfen. Oder sie wurden wegen ihrer Fähigkeit, sich in die Gedanken und Gefühlslagen anderer hineinzuversetzen, zu Diplomaten, Künstlern, Finanzweisen …« Eddy sah kurz über die obere Kante des Artikels hinweg. »Das würde erklären, warum du mich immer belabert hast, ich solle Gnade vor Recht ergehen lassen, Mitleid mit meinen Feinden haben und so einen Scheiß.« Er zog geräuschvoll die Nase hoch. »Und es erklärt, weshalb ich dich damals zu meinem Buchhalter gemacht habe.« Benny verzog keine Miene, auch wenn Valka sich jetzt endlich dem eigentlichen Grund ihres Treffens näherte. Geld. »Allerdings steht hier auch … », Eddy sah wieder auf seinen Artikel und schnalzte mit der Zunge, « … dass HSPler leider oft depressiv werden. Wahnsinnige, die vermehrt den Freitod wählen.«
»Ich lebe noch.«
»J a. Aber das ist nicht dein Verdienst, sondern das deines Bruders.«
»Müssen wir ausgerechnet über Marc reden?«
Eddy lachte auf. »Gut, dass du mich daran erinnerst, was ich dir eigentlich zeigen wollte. Komm mit.« Valka warf seine Schürze auf die Arbeitsplatte, griff sich die Gartenschere und gab ihm ein unmissverständliches Zeichen, ihm ins Hinterzimmer zu folgen.
Der angrenzende fensterlose Raum wurde als Lager genutzt. Allerdings nicht für Blumen, Dünger oder Vasen, sondern für Abfälle, wie Benny schockiert feststellen musste. Menschliche Abfälle, und sie lebten noch.
»Es wird Zeit, dass wir endlich deine HSP-Krankheit therapieren«, sagte Valka und zeigte auf einen Mann, der nackt an einem Andreaskreuz hing. In seinem Mund steckte ein orangefarbener Beißball, der in der Mitte eine strohhalmgroße Öffnung besaß, durch die der Nackte atmen musste. Er stand kurz davor, zu hyperventilieren, da er durch die bereits gebrochene Nase keine Luft mehr bekam.
»Ich will, dass du jetzt ganz genau aufpasst«, sagte Eddy und schaltete eine Bauarbeiterleuchte an, die lose von der Decke hing. Dabei presste er die Gartenschere in seiner Hand rhythmisch auf und zu. Die Augen des Geknebelten weiteten sich, als er das Ratschen hörte. Noch konnte er die Klingen nicht sehen, da sein Kopf in einer schraubzwingenartigen Vorrichtung steckte, die ihm jede Seitwärtsbewegung unmöglich machte. Die Befestigungsschrauben steckten jeweils in seinen Ohren. Aus dem linken rann bereits Blut.
Benny wollte sich abwenden.
»N ein, nein, nein.« Eddy schnalzte mehrfach mit der Zunge, als wolle er ein Pferd beruhigen. »Schön hinsehen.«
Er trat dicht an den Nackten heran und hielt ihm jetzt die Schere direkt vors Gesicht. Die Klingen funkelten in den Pupillen seines immer heftiger atmenden Opfers.
»Der Artikel hat mir wirklich die Augen geöffnet, Benny. Darin stand nämlich, dass HSPler ein besonders stark ausgeprägtes Schmerzempfinden haben, stimmt das?«
Benny brachte vor Entsetzen kein Wort heraus. »Manche sprechen nicht einmal auf Betäubungsmittel an. Stell dir vor, was das für Qualen beim Zahnarzt sind.« Eddy schob mit der Gartenschere die Oberlippe seines Folteropfers zur Seite. Der Mann hatte schlechte, nikotinverfärbte Zähne.
»Aber am interessantesten fand ich, dass Menschen wie du besonders empfänglich für das Leid anderer sein sollen, Benny. Angeblich spüren sie den fremden Schmerz oft intensiver als den eigenen.«
Eddy drückte mit seinem Daumen das rechte Augenlid des Mannes nach oben.
»Hör auf«, wimmerte Benny und wusste, dass es sinnlos war. Valka wollte demonstrieren, was ihm
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