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Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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einen Augenblick!«, rief er zu dem Mädchen nach oben.
    Die Dreizehnjährige fror erbärmlich. Sie stand an der äußersten Kante des Fünfmeterbretts, beide Arme um die Rippen geschlungen, die sich durch den dünnen Stoff des Badeanzugs abzeichneten. Marc war sich nicht sicher, ob es die Kälte war, die sie frösteln ließ, oder die Angst vor dem Sprung. Von seinem Standpunkt aus hier unten in dem entleerten Schwimmbecken war das nicht zu unterscheiden. »Fick dich, Luke!«, schrie Julia in ihr Handy.
    Marc fragte sich, wie sie das dürre Mädchen da oben überhaupt bemerkt hatten. Immerhin war das Stadtbad Neukölln schon seit Monaten gesperrt. Julia musste die Aufmerksamkeit eines Passanten auf sich gezogen haben, der schließlich die Feuerwehr alarmiert hatte.
    »Fick dich und verpiss dich endlich!«
    Sie beugte sich nach vorne und sah in die Tiefe, als suche sie einen geeigneten Platz für ihren Aufprall auf den dreckigen Kacheln. Irgendwo zwischen der großen Pfütze und dem Laubhaufen.
    Marc schüttelte den Kopf und drückte sein Handy an das andere Ohr. »Nee, ich bleib hier. Die Gelegenheit lass ich mir doch nicht entgehen, Schätzchen.« Er hörte ein Raunen hinter sich und sah kurz zu dem Einsatzleiter der Feuerwehr hinüber, der sich mit vier weiteren Helfern und einer Sprungmatte am Beckenrand postiert hatte. Der Mann sah so aus, als bereue er schon jetzt, ihn zu Hilfe gerufen zu haben.
    Sie hatten seine Telefonnummer in der Tasche von Julias Jeans gefunden, die sie gemeinsam mit ihren anderen Anziehsachen sorgsam gefaltet neben die Leiter des Sprungturms gelegt hatte. Es war kein Zufall, dass sie heute ausgerechnet den Badeanzug trug, in dem sie von zu Hause ausgerissen war. An jenem Sommertag, als ihr drogensüchtiger Stiefvater ihr wieder einmal am See aufgelauert hatte.
    Marc legte wieder den Kopf in den Nacken. Im Gegensatz zu Julia hatte er keine Haare mehr, die der Wind zerzausen konnte. Seine Geheimratsecken waren schon kurz nach dem Abitur so ausgeprägt gewesen, dass der Frisör ihm zu einer Radikalrasur geraten hatte. Das war nun dreizehn Jahre her. Heute, wo eine Hundert-Kaffeetassen-Woche seinen Alltag bestimmte, konnte es schon passieren, dass er von einer Fremden in der U-Bahn angelächelt wurde - aber nur, wenn sie auf die Lüge der Männermagazine hereingefallen war, die Tränensäcke, Sorgenfalten, eine schlechte Rasur und andere Verfallserscheinungen zu Charaktermerkmalen erklärten.
    »Was laberst du wieder für Dreck ?«, hörte er sie fragen. Ihr Atem dampfte wütend. »Was für eine Gelegenheit?«
    Der Berliner November war für seine plötzlichen Kälteeinbrüche bekannt, und Marc fragte sich, woran Julia eher sterben würde, an dem Aufprall oder an einer Lungenentzündung. Auch er war völlig unpassend gekleidet. Nicht nur, was das Wetter betraf. Keiner seiner Bekannten lief heute noch in löchrigen Jeans und zerschlissenen Turnschuhen durch die Gegend. Aber keiner von denen hatte ja auch einen Job wie seinen.
    »Wenn du jetzt springst, versuche ich dich aufzufangen«, rief er.
    »Dann gehen wir halt beide drauf.«
    »Möglich. Aber noch wahrscheinlicher ist, dass mein Körper deinen Sprung abfedert.«
    Es war ein gutes Zeichen, dass Julia ihm vor zehn Minuten erlaubt hatte, in den dreckigen Pool hinabzusteigen. Den Feuerwehrmännern hatte sie mit einem sofortigen Kopfsprung gedroht, wenn sie auch nur eine Matte ins leere Becken werfen würden. »Du bist noch im Wachstum, deine Gelenke sind sehr biegsam.«
    Er war sich nicht sicher, ob das bei ihrem Drogenkonsum wirklich stimmte, aber für den Augenblick klang es glaubhaft.
    »Was soll denn diese Scheiße schon wieder heißen?«, brüllte sie zurück.
    Nun konnte er sie auch ohne Telefon verstehen. »Wenn du unglücklich fällst, kannst du die nächsten vierzig Jahre nur noch deine Zunge bewegen. So lange, bis einer der Schläuche, durch den deine Körperflüssigkeiten abtransportiert werden, verstopft ist und du an einer Infektion, einer Thrombose oder einem Schlaganfall verreckst. Willst du das?«
    »Und du? Willst du denn sterben, wenn ich auf dich draufknalle?«
    Julias kehlige Stimme klang nicht wie die einer Dreizehnjährigen. So als hätte sich der Dreck der Straße auf ihre Stimmbänder gelegt, und ihre Stimme verriete jetzt das wahre Alter ihrer Seele.
    »Ich weiß nicht«, antwortete Marc wahrheitsgemäß. Gleich danach hielt er die Luft an, als Julia von einem Windstoß erfasst wurde und nach vorne schwankte. Doch sie

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